Never Rarely Sometimes Always Grossbritannien, USA 2020 – 101min.

Filmkritik

Feministisches Coming-of-Age-Meisterwerk

Filmkritik: Walter Rohrbach

Eliza Hittmans 101-minütiges Porträt einer jungen Frau, die abtreibt, ist vielleicht das wichtigste feministischste Statement auf Leinwand seit einigen Jahren: aktuell, relevant und meisterhaft in Szene gesetzt.

«This is the most magical sound you will ever hear» sagt die Frauenärztin, während sie mit dem Ultraschallgerät um den Bauchnabel kreist – Autumn aber weiss genau, sie ist nicht bereit eine Mutter zu sein. Süsse 17, Kassiererin in einem provinziellen Supermarkt im ländlichen Pennsylvania, ist der Kontext dieser ungewollten Schwangerschaft. Zudem darf sie in Pennsylvania nicht ohne die Zustimmung der Eltern abtreiben – aber auf die Unterstützung der Familie kann sie sowieso nicht zählen.

Nach einigen zögerlichen, wenn auch sehr erschütternden Versuchen, die Schwangerschaft selbst zu beenden, vertraut sie sich ihrer Cousine Skylar an. Die beiden Kratzen etwas Bargeld zusammen und fahren mit dem Bus ins liberale New York, wo Abtreibungen möglich sind. Es folgt eine dramatische Odyssee durch die Labyrinthe und bürokratischen Mühlen des amerikanischen Gesundheitssystems.

Die herausragenden Newcomerinnen Sidney Flanigan (Autumn) und Talia Ryder (Skylar) verkörpern die jungen Frauen mit einer natürlichen emotionalen Präzision. Die Darstellung der Wandlung, die Autumn durchmacht, ist eindrücklich: Als wir sie zum ersten Mal treffen – introvertiert, verschlossen, distanziert – singt sie bei der Talentshow an ihrer High-School. Was folgt, ist eine ausgezeichnete Schilderung von Einsamkeit und Entfremdung einer jungen Frau, die ungewollt schwanger ist.

Neben dieser individuellen emotionalen Ebene geht es um eine gegenwärtige politische Debatte. In den USA sind Abtreibungen seit 1973 zwar legal, jedoch immer noch ein hart umkämpftes Thema: So zeigt zum Beispiel Donald Trumps Auftritt an einer March for Life-Kundgebung Anfang 2020, dass die Diskussion darum noch immer politische Brisanz aufweist.

Die Regisseurin Eliza Hittman legt mit Never Rarely Sometimes Always ein Drama vor, welches auf der ganzen Linie überzeugt. Mit feinen Zügen porträtiert sie unaufgeregt und mit realistischen Bildern das Schicksal von Autumn, ohne ihre Misere sensationell zu machen oder den Film allzu stark in Richtung Melodrama kippen zu lassen.

Eindrücklich zeigt sie die konkreten Auswirkungen von gesellschaftlichen Regeln auf, welche die Selbstbestimmung einer jungen Frau beschneiden. Damit ist dieser Film überaus gelungen und wird im feministischen Kino berechtigterweise seine Spuren hinterlassen.

01.10.2020

4.5

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Kommentare

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Swisscheese

vor einem Jahr

Enttäuschend


abrakadabra5

vor 3 Jahren

Beeindruckende Darbietung der Jungschauspielerinnen. Viel diskutiertes Thema gut und total real dargestellt.


Barbarum

vor 3 Jahren

„Never Rarely Sometimes Always“ ist für sich genommen lediglich eine Aneinanderreihung von Wörtern. Doch als vier mögliche Antworten auf Fragen zur gemachten sexuellen Erfahrung sprechen die vier Wörter in einer Szene, in der die Protagonistin Autumn von einer Sozialarbeiterin befragt wird, Bände. Gleichwohl predigt der Film nicht. Seine Stärke liegt gerade in seiner Unaufdringlichkeit, in der selbstbewussten Regie Eliza Hittmans und in Flanigan und Ryder, den zwei jungen Schauspielerinnen, welche die Cousinen Autumn und Skylar brillant darstellen, deren Freundschaft das Herz dieser Geschichte bildet. An den Filmfestspielen Berlins und in Sundance wurde „Never Rarely Sometimes Always“ nicht zu Unrecht mit Preisen bedacht.Mehr anzeigen


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