Limbo Grossbritannien 2020 – 103min.

Filmkritik

In Schottland tanzt die Hoffnung

Zurich Film Festival
Filmkritik: Zurich Film Festival

Mit trockenem Humor erzählt der britische Regisseur Ben Sharrock über die trostlose Zeit junger Asylsuchender, die inmitten des rauen Wetters und der stürmischen See auf einer einsamen schottischen Insel auf ihre Asylentscheide warten. In den Hauptrollen einer ungleichen Freundschaft spielt Amir El-Masry den syrischen Musiker Omar und Vikash Bhai den riesigen Freddie Mercury-Fan Farhad.

Kritik von Joanna Osborne

Für den jungen Omar und seine Mitbewohner hat die Flucht mit ihrer Ankunft auf der kleinen Insel und seinen wenigen mürrischen Einwohnern zwar vorläufig ein Ende gefunden – gleichzeitig hat jedoch die Zeit des Wartens begonnen. Wenn die jungen Männer nicht gerade die kläglich geleiteten Lektionen zur kulturellen Bewusstseinsbildung über sich ergehen lassen, versuchen sie die Zeit tot zu schlagen. Sie stellen sich in den eisigen Wind, um den Postboten mit erwartungsvollem Schweigen zu begrüssen, oder sie machen sich zur einzigen Telefonzelle der Insel auf, um die Stimmen ihrer Liebsten hören.

Omar hat seit dem Verlassen Syriens kein einziges Mal auf seiner Oud gespielt. Auch die ermutigenden Versuche seines kauzig, aber liebenswürdigen Freundes Farhad schlagen fehl. Der junge Mann wird von einer Ohnmacht gelähmt, die sich aus wehmütigen Erinnerungen an seine verlorene Heimat und einer innerfamiliären Zerrissenheit speist. Dennoch trägt der junge Mann das Instrument stets bei sich, selbst wenn er in seiner blauen Jacke verloren durch die verlassene Landschaft Schottlands wandert.

Sharrock, der Arabisch und Politik an der Universität in Edinburgh studiert und eine Zeit lang in Syrien gelebt hat, fungiert mit dieser melancholischen Komödie als eine Art Brückenbauer zwischen zwei Welten. Für ihn war es ein persönliches Anliegen, die derzeitige Flüchtlingskrise in seinem zweiten Film, der 2020 am Filmfestival in Toronto seine Premiere feierte, aufzugreifen. Mit atmosphärischem Feingefühl weist der Regisseur uns auf die stumme Parallelwelt Asylsuchender hin, die für viele aufgrund ihrer Fremdartigkeit nur bedrohlich neben der unseren existiert.

Sharrock zeigt uns nicht nur die Verletzlichkeit eines Menschen auf, der in konstanter Ungewissheit und sinnfreier Zeit vor sich her lebt, sondern ebenso, dass dem Individuum in solch einer Lage die eigene Identität mit all seinen charaktereigenen Wesenszügen genommen werden kann. Die Hilflosigkeit der jungen Männer wird von den Darstellern brillant wiedergeben und von den weiten, oft im tristen Licht erscheinenden Landschaftsbildern traurig untermalt. Sharrock richtet mit Limbo keinen gesellschaftlichen Vorwurf an uns, dafür fehlt es an dramatisierenden Erzählelementen. Vielmehr gewährt er auf nüchterne Art Einlass in eine Welt, die von vielen grösstenteils noch immer ignoriert oder missverstanden wird. Mit dem unbequemen, aber wichtigen Ergebnis, dass man sich als ZuschauerIn womöglich für diese Ignoranz zu schämen beginnt.

07.10.2020

4.5

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