Ghosts Frankreich, Katar, Türkei 2020 – 90min.

Filmkritik

Geisterhaftes Istanbul

Walter Gasperi
Filmkritik: Walter Gasperi

In verschachtelten Episoden zeichnet Azar Deniz Okyay ein ebenso bedrückendes wie vielschichtiges Porträt des heutigen Istanbul: Ein inhaltlich starkes und auch formal beeindruckendes Regiedebüt.

Mit Nachrichten von einem Stromausfall, der Istanbul in ein Chaos gestürzt hat, auf der einen und der Werbung einer Immobilienfirma für einzigartige Wohnungen auf der anderen Seite steckt Azar Deniz Okyay schon mit dem Einstieg das Spannungsfeld ihres mehrfach preisgekrönten Spielfilmdebüts ab. Denn während einerseits der Stromausfall unübersehbar Metapher für die Finsternis ist, in die eine repressive Politik das Land stürzt, steht die Immobilienfirma für die Gentrifizierung und die Geschäftemacher, die von den neuen Verhältnissen profitieren.Verlierer sind zunächst einmal Frauen, wie die Müllfahrerin Iffet (Nalan Kuruçim), die verzweifelt versucht Geld für ihren unschuldig im Gefängnis sitzenden Sohn aufzutreiben. Aber auch die junge Didem (Dilayda Günes), die von einer Karriere als Tänzerin träumt, muss schauen, wie sie sich durchschlägt. Denn wenn sie mit ihren Freundinnen auf den Strassen probt, müssen sie damit rechnen als Huren beschimpft zu werden.

Nicht nur durch einen kreisenden Polizeihubschrauber, sondern auch durch Streifenpolizisten evoziert Okyay eine Atmosphäre der Unsicherheit und Beklemmung. Mutig stellt sich die feministische Künstlerin Ela (Beril Kayar) mit Strassenaktionen gegen die Staatsgewalt, während der schmierige Rasid (Emrah Ozdemir) nicht nur mit Drogen dealt, sondern auch an syrische Flüchtlinge zu überhöhten Preisen Wohnungen vermietet oder für eine Immobilienfirma baufällige, aber denkmalgeschützte Häuser nachts illegal zum Einsturz bringt, damit sie abgerissen und Neubauten errichtet werden können.Im Stil von Robert Altmans Short Cuts verknüpft Okyay diese vier Personen. Hautnah ist die Debütantin mit dynamischer Handkamera an ihren Figuren dran, folgt ihnen durch die heruntergekommenen Viertel und die dunklen Gassen der Millionenstadt. Die Erzählweise bleibt dabei sehr fragmentiert und wirklich nahe kommt man aufgrund dieser Zerstückelung den Protagonist_innen nicht, doch andererseits gelingt es gerade mit diesem Perspektivenwechsel dicht ein vielschichtiges Bild des heutigen Istanbul und der Türkei des Recep Tayyip Erdoğan zu vermitteln, Einblick in die Diskriminierung der Frau, wachsende Staatsgewalt und Flüchtlingsleben im Untergrund zu bieten.

27.10.2021

4

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