CH.FILM

Das Mädchen und die Spinne Schweiz 2021 – 99min.

Filmkritik

Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?

Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

Als Dieter Kosslick nach fast zwei Dekaden seinen Posten als Direktor der Berlinale verlassen hat, haben seine Nachfolger – die Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek und der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian – einige Neuerungen mitgebracht. Dazu gehört auch der neue Wettbewerb „Encounters“, der „ästhetisch und strukturell wagemutigen Arbeiten von unabhängigen, innovativen Filmschaffenden eine Plattform bieten soll“, wie es im Profil des Festivals heisst. Und tatsächlich passt diese Beschreibung sehr gut auf den Schweizer Beitrag „Das Mädchen und die Spinne“ des Regie-Duos "Ramon" und Silvan Zürcher, der auf wunderbare Weise eigenwillig ist.

Die WG-Zeiten sind endgültig vorbei: Lisa hat endlich ihre eigene Wohnung gefunden. Sie freut sich auf den Beginn eines neuen Lebensabschnitts, aber für ihre Mitbewohnerin Mara löst der Auszug eine emotionale Achterbahn aus. Und in den zwei Tagen, in denen mit Hilfe von Freunden, Familie und Nachbarn Kisten gepackt und geschleppt und Möbel auf- und abgebaut werden, offenbaren sich an allen Ecken und Enden Wünsche, Sehnsüchte und Ängste.

Bereits mit „Das merkwürdige Kätzchen“ hat Regisseur Ramon Zürcher auf der Berlinale 2013 auf sich aufmerksam gemacht, nun hat er den zweiten Teil seiner „Trilogie über das menschliche Zusammensein“ mit seinem Bruder Silvan realisiert. Und wie der erste Teil ist auch „Das Mädchen und die Spinne“ von einer eigenwilligen Ästhetik.

Das Geschehen findet fast gänzlich in Innenräumen statt, wobei durch eine sehr starke Lichtsetzung die Bilder wie Studioaufnahmen wirken. Überhaupt wird hier eine Künstlichkeit kreiert, in der sich die Realität in die Primärfarben Blau, Gelb und Rot auffächert. In dieser Welt, scheinbar logisch und überschaubar aufgebaut, bewegt sich die selbsternannte Lügnerin Mara im grauen T-Shirt und versucht, die Perfektion zu stören.

Henriette Confurius spielt die Figur der Mara dabei seltsam entrückt, irgendwo angesiedelt zwischen aggressivem Schlafwandeln und poetischer Zerstörungswut. Sie sucht nach Brüchen und Fehlern, sie freut sich über zerschossene Dateien und verschütteten Kaffee. Ihre Handlungen werden zu Störungen. Und plötzlich offenbaren sich um sie herum immer mehr Risse in der scheinbar heilen Welt: Wasserhähne tropfen, Fenster klemmen, Schuhe quietschen.

Es sind die Zustände des Übergangs, der Umbrüche, des Dazwischen-Seins auf die sich der Film konzentriert. Dafür inszenieren die Brüder Zürcher ihr Figuren-Ensemble (darunter auch Ursina Lardi, Sabine Timoteo und Liliane Amuat) als wundersame Kreaturen in einer befremdlich wirkenden Normalität, die zugleich klar strukturiert und undurchdringlich ist – ein verwinkeltes Spinnennetz im Bauhaus-Look. Auf eine klassische Handlung wird fast gänzlich verzichtet, stattdessen entsteht durch beiläufige Momente, durch Gesten, Blicke und Begegnungen eine flirrende Spannung, die ihren ganz besonderen Sog entwickelt. Und so ist „Das Mädchen und die Spinne“ eine sonderbare Mischung aus Märchen und Psychogramm, eine im Missklang komponierte Gesellschaftsstudie, die eigenwillig und mit formaler Strenge von den Herausforderungen des Miteinanders erzählt.

20.03.2021

4

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Kommentare

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Swisscheese

vor 2 Jahren

Man sollte nicht aus jedem Drehbuch einen Film machen. Nicht sehenswert


Anja

vor 2 Jahren

Ein Film der besonderen Art mit einer aussergewöhnlichen Kameraführung entdeckt man die Besonderheiten des Alltags. Ein Film für Menschen die achtsam durchs Leben gehen und das Einzigartige im Augenblick entdecken wollen. Auf jeden Fall sehenswert für alle die sich für Kunst und Kultur interessieren.Mehr anzeigen


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