CH.FILM

Annette Belgien, Frankreich, Deutschland, Japan, Mexiko, Schweiz, USA 2021 – 141min.

Filmkritik

Mut und Talent à la Carax

Sven Papaux
Filmkritik: Sven Papaux

Braucht man eine Gebrauchsanweisung, um das Talent von Leos Carax zu verstehen? Er ist ein ebenso brillanter wie verblüffender Filmemacher, der ein poetisches Musical zusammengestellt hat. In einem Wort: Einzigartig.

Los Angeles in der heutigen Zeit: Henry (Adam Driver) ist ein Komiker mit grimmigem Humor, der gerne provoziert. Ann (Marion Cotillard), eine Sängerin mit internationaler Aura. Die beiden werden ein Paar, das im Rampenlicht steht, glamourös und erfüllt ist. Die Geburt ihres ersten Kindes, Annette, ein geheimnisvolles Mädchen mit einem aussergewöhnlichen Schicksal, wird ihr Leben auf den Kopf stellen.

Marion Cotillard erklärte, dass die Dreharbeiten zu «Annette» kein Zuckerschlecken waren, da die Anforderungen manchmal schwer zu erfüllen waren. Der Schauspieler Simon Helberg gab zu, dass «der Gang zum Set ein bisschen wie der Gang in die Kirche war». Alles, was Leos Carax macht, flirtet, auch wenn es manchen nicht gefällt, mit dem Mystischen. Sein Meisterwerk «Holy Motors» (2012) erinnert an die schwer fassbare Ader des Autors und dessen einzigartige Prosa – Carax bietet eine erhabene Beschwörung des Künstlichen, der wilden Freiheiten und der Zwänge der Aussenwelt. Eine Kunst, eine Vision und eine prachtvolle Plastik.

Carax ist in sein eigenes Universum. Und wie sein vorheriger Film ist auch «Annette» ein singulärer Film, der aus fulminanten Momenten besteht, in denen alles auf einem gut gefüllten Set aus Talent, Grandiosität und ausufernder Energie angeboten wird. Nach einem Drehbuch von Ron und Russell Mael von der Rockband «The Sparks» ist «Annette» ein langsamer, schroffer Film, der einer einsamen Liebe nachjagt.

Der Film enthält zahlreiche Gefühle wie eine Anti- und «neoromantische» Hymne, die zu dieser verrückten Zeit passt, in der die Doppelmoral herrscht. Ein Melodrama, welches in Form eines Musicals gesungen wird, in dem ein Paar auseinandergerissen wird - und mittendrin steckt Annette mit ihrer wundersamen Stimme. Obwohl die Geschichte sich hinzieht, ist «Annette» ist so erhaben und tiefgründig, dass sie wie eine grosse Parabel auf die Ehe wirkt - im Guten wie im Schlechten. Giftig und naiv.

Adam Driver, in seinem Komödienkostüm, spuckt sein grössenwahnsinniges Gift aus, singt seine Eifersucht und seinen Zynismus in einer Rolle, die komplex zu spielen ist. Der amerikanische Schauspieler ist der Mann, der mit dem Rest der Welt im Zwiespalt ist, der sich aber gleichzeitig als ein Paradebeispiel für das Showbusiness erwiesen hat. Er steht im Konflikt mit der zarten Marion Cotillard, die einen Mann liebt, der sich selbst hasst. Das Böse und die Liebe als Komposition, die ein Herz hervorhebt, das durch Romantik und Gefühle verkümmert und gemartert wird. Eitelkeit als Auslöser - oder Gift - einer dunklen und künstlerisch grandiosen Ehe. Das Ergebnis: Eine zutiefst bewegende Geschichte.

Übersetzung aus dem Französischen von Sven Papaux durch Alejandro Manjon.

21.02.2024

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 2 Jahren

Bin froh, hab ich den Film erst lange nach einer Besprechung im Radio (SRF2Kultur) gesehen hab – und so nicht mehr eigentlich wusste, wusste, was erwartet einem. Der Film bleibt eigentlich die längste Zeit unabsehbar. Was mir in Erinnerung blieb, die Kirtik an der Sangeskunst Adam Drivers. Muss das denn nicht just so sein? Ist ja keine Romanze unter Opernsängern! Ein Komiker kann und darf komisch singen, mit Stimmchen statt sonor...
In der obigen Kritik ist die Rede von der Parabel einer Ehe. Manche (Wald-)Gartenszenen wirken denn auch fast wie -nomen est omen?- wie Adam und Eva. Mehr noch dünkts mich eine Metapher auf unsere Promi- und Influencerzeit. Ein Kind berühmter Eltern wird zur Volksaffäre. Die Reichen, Sternchen und Realitystars machen sich zum Affen Gottes.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 2 Jahren


Bolu

vor 2 Jahren

Ich kann mich nicht entscheiden, war der Film jetzt gut oder schlecht! Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, denn wer möchte schon Filme sehen, die nicht bewegen, nerven und uns aus dem Alltag entführen:)


as1960

vor 2 Jahren

Ich kann mir vorstellen, dass z.B. Kunststudierende an "Annette" Freude haben. Ich habe einen etwas zwiespältigen Eindruck. Natürlich hat der Film seine Momente, und er ist speziell und originell. Mutig dieses Drama in Form eines Musicals zu verfilmen. Für mich war er aber so aussergewöhnlich, dass es teilweise anstrengend wurde. Und das grösste Manko: Adam Driver, den ich sehr schätze, ist für mich ein zu schlechter Sänger... (was er für ein toller Schauspieler ist, sieht man aber trotzdem).Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 2 Jahren


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