CH.FILM

Unter einem Dach Schweiz 2019 – 86min.

Filmkritik

Im Alltag gelebte Integration

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Ein Schweizer Ehepaar nimmt eine Familie aus Syrien in sein Haus auf. Die Filmemacherin Maria Müller begleitet die beiden Familien über drei Jahre.

Kathrin und Daniel leben in einem Dorf in der Nähe von Winterthur. Nachdem ihre eigenen Kinder ausgezogen sind, vermieten sie den oberen Stock ihres Hauses an Ghassan, seine Frau Iman und ihre fünf Kinder. Die Familie stammt aus der Umgebung von Damaskus. Ghassan besass ein eigenes Geschäft, Iman ist Apothekerin. Ihr Jüngster, Ahmad, ist im Primarschulalter, seine vier Schwestern sind Teenager beziehungsweise junge Frauen – abgesehen von der jüngsten, Sidra, tragen alle Frauen der Familie den Hidschab.

Als sie sich das erste Mal trafen, erzählt Kathrin, waren alle furchtbar nervös. Daniel reichte Ghassan die Hand, bis Kathrin Daniel schliesslich darauf aufmerksam machte, dass die Frauen ihm die Hand nicht geben dürfen. Maria Müllers Film setzt ein halbes Jahr nach dieser ersten Begegnung ein. Es ist Winter. Ahmad freut sich am Schnee. Daniel montiert im ersten Stock seines Hauses einen Vorhang, damit die Frauen in ihren Räumen unbedeckt herumlaufen dürfen. Zusammen feiert man das Dreikönigsfest.

Immer wieder sitzt man im Laufe in den kommenden Wochen und Monate zusammen. Tastet sich bei gemeinsamen Mahlzeiten an unterschiedliche Lebensweisen, Sitten und Gewohnheiten heran. Auch klären die Erwachsenen im Gespräch immer wieder gegenseitige Erwartungen und Wünsche. Es ist dies nicht immer einfach. Nicht nur, weil die Kulturen und darauf beruhenden Lebensvorstellungen sehr unterschiedlich sind, sondern auch, weil man sich voneinander abgrenzen muss und dabei zum Teil auf eine Dolmetscherin angewiesen ist. Nicht zuletzt auch, weil man als „vorläufig Aufgenommener“ jederzeit aus der Schweiz wieder ausgewiesen werden kann.

Es verlangt von den Protagonisten viel Mut und Offenheit, sich in einer solchen Situation für einen Film begleiten zu lassen. Maria Müller beweist als Filmemacherin grosse Sorgfalt und viel Einfühlsamkeit. Sie stellt Szenen aktiver Auseinandersetzung stille Betrachtungen aus dem Alltag gegenüber. Zeigt, wie Kathrin mit Ahmad Wäsche aufhängt, wie Sidra Fahrrad zu fahren lernt und Ghassan und Daniel zusammen eine Pfeife rauchen.

Auch lässt sie die Erwachsenen erzählend thematisieren, was im Alltag nicht zuvorderst steht: persönliche Bedenken, intime Erinnerungen. Etwa an den Abschied aus der Heimat, welche Iman und Ghassan einzig ihrer Kinder wegen verliessen. Ein unaufgeregter und bescheidener Film, der zwischen seinen Bildern etliche unausgesprochene Fragen aufwirft, welche die Zuschauer zum Nachdenken einladen.

24.07.2020

4

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