Systemsprenger Deutschland 2019 – 121min.

Filmkritik

Dabei will Benni doch nur, dass man sie liebt

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Nora Fingscheidt erzählt von einer aggressiven Neunjährigen, die durch alle Netze der Jugendhilfe fällt.

Wenn Benni austickt, sieht sie pink. Super-grell-wild- flackerndes und flimmerndes Pink, unterlegt von hartem Punk; zumindest ist es das, was Nora Fingscheidt dem Zuschauer jeweils zeigt. Und sie tickt immer wieder aus, diese Benni. Aus dem Nichts heraus und aus den nichtigsten Gründen; wird es schlimm, wird Benni abgeholt und stillgestellt. Ab und zu wird sie untersucht, doch eine Diagnose gibt es nicht. Ihr provokativ-aggressive Verhalten ist bloss einer der Puzzlesteine, die Benni zu dem machen, was die deutsche Behörde als „Systemsprenger“ bezeichnet: Kinder und Jugendliche, die durch die sozialen Netzwerke fallen.

Benni hat denn auch alles schon gesehen: Notschlafstellen, Heime, Pflegefamilien, Kliniken. Doch sie bleibt nirgendwo lange. Wo man sie nicht rausschmeisst, läuft sie früher oder später davon. Dabei sehnt sie sich nach nichts mehr als einem Zuhause; am liebsten wäre sie wie früher bei ihrer Mutter und ihren Geschwistern. Doch die labile Mutter weiss nicht umzugehen mit ihrer Erstgeborenen, die ihr am Telefon selber gereimte Lieder vorsingt, aber eben auch schamlos eine Handtasche klaut.

Fingscheidt erzählt weniger, als dass sie schildert. Die Zu- und Umstände, die Benni immer wieder anecken lassen. Ihre Befindlichkeit. Ihr Verhalten. Die Überforderung ihrer Umgebung, auch der Menschen, die es gut mit ihr meinen: der freundlichen Betreuerin vom Jugendamt, der wohlmeinend-weltfremden Ärztin, welche Kinder wie Benni zur Beruhigung gern nach Kenia schickt.

Einige Wochen vor ihrem zehnten Geburtstag bekommt Benni einen neuen Schulbegleiter. Micha war selber ein schwieriger Jugendlicher und zieht mit ihr für drei Wochen in eine Hütte in der Lüneburger Heide, wo es keinen Strom, keinen Computer, keinen TV und Handy nur zur Not gibt, dafür aber Natur, Eulen, Milch vom Bauern und Holz zum Hacken. Micha macht alles richtig. Doch auch er kann, beziehungsweise darf für Benni nicht werden, was sie bei ihm sucht: ein Vertrauter und Vater.

Systemsprenger, low budget gedreht, ist mitreissend, schnell, wirr, laut. Anstrengend anzuschauen und zugleich herzzerreissend. Nicht nur, weil Fingscheidt die unglaubliche Energie und das Chaos, die Benni umgeben, in explosiver Filmsprache umzusetzen versteht, sondern vor allem, weil Helena Zengel Benni so hemmungslos entfesselt, wie zugleich ungemein fragil und zart-sensibel spielt, dass man als Zuschauer nicht anders kann, als sie auf der Stelle ins Herz zu schliessen.

11.11.2019

4.5

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Kommentare

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Swisscheese

vor 2 Jahren

Starke Leistung von Schuch und vor allem Zengel, die Tom Hanks danach zurecht nach Hollywood holte


Marco79

vor 4 Jahren

Eindrücklicher Film


Patrick

vor 4 Jahren

Grandiose Darsteller~Leistung sowie ist Systemsprenger sehr realistisch umgesetzt.Es gibt ein paar Lichtblicke im Film aber die werden bald wieder Dunkel,daher verlässt man den Kinosaal betrübt und das Movie Läd zum Diskutieren& zum Nachdenken ein..Das Movie gewann 2019 unzählige Preise u.a.den Silbernen Bären in Berlin sowie das Goldene Auge am Zürich Film Festival.In einem Kurzauftritt Ist Maryam Zaree zu sehen bekannt aus der Serie 4 Blocks.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 4 Jahren


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