Sorry We Missed You Belgien, Frankreich, Grossbritannien 2019 – 100min.

Filmkritik

Das Hamsterrad der Arbeiterklasse

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Beim Filmfestival in Cannes sowie im europäischen Kino allgemein ist Ken Loach der Meister des sozialen Realismus. Diesem Ruf wird er nun auch mit der besonders bitteren Geschichte Sorry We Missed You wieder gerecht.

Es ist nicht so, dass es eines weiteren Hinweises bedurft hätte. Doch in einer Szene in Sorry We Missed You, dem neuen Film von Ken Loach, der einmal mehr beim Filmfestival in Cannes seine Weltpremiere feierte, humpelt ein dreibeiniger Hund durchs Bild – und spätestens da dürfte klar sein, dass es dem Briten auch dieses Mal nicht an hoffnungsfrohem Wohlfühlkino gelegen ist. Hier geht es um die knallharte Realität, in all ihrer Bitterkeit.

Vor drei Jahren erst gewann Loach seine zweite Goldene Palme für I, Daniel Blake über einen Mann, der in die Arbeitslosigkeit ab- und letztlich auch durch das Netz sozialer Absicherung hindurch rutscht. Davon kann bei seinen neuen Protagonisten nicht die Rede sein, doch das macht ihre Situation kaum erträglicher. Um aus den Schulden herauszukommen und womöglich endlich den jahrelang gehegten Traum vom Eigenheim für die Familie zu erfüllen, heuert Ricky (Kris Hitchen) als Paketauslieferer an. Seine Frau Abbie (Debbie Honeywood) arbeitet als mobile Altenpflegerin, auch bei ihr sind Arbeitstage von weit mehr als acht Stunden die Regel. Das angesichts heranwachsender Kinder eigentlich dringend nötige Familienleben kommt dabei deutlich zu kurz, doch auch finanziell reicht die gnadenlose Knochenarbeit mit all ihren Fallstricken der Scheinselbstständigkeit bei weitem nicht aus.

Es hat in der Vergangenheit durchaus schon Filme von Loach gegeben, in denen Hoffnung und Humor zum Tragen kamen, doch Sorry We Missed You gehört nicht dazu. Ohnehin muss man sagen, dass die Handlung alles andere als unerwartet verläuft: Jede potentielle Konfliktsituation, jede mögliche, noch schlimmere Wendung nehmen der Regisseur und sein Dauer-Drehbuchautor Paul Laverty mit.

Subtilität in seiner Gesellschaftskritik ist – der versehrte Hund lässt es erahnen – also einmal mehr nicht Loachs Sache. Der Eindringlichkeit des Bildes, das er von einem aussichtslosen Teufelskreis zeichnet, in dem sich längst nicht mehr nur die Arbeiterklasse zu befinden scheint, tut das allerdings keinen Abbruch. Nicht zuletzt weil Hitchen und Honeywood in den Hauptrollen grosse Klasse sind.

03.09.2019

4

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Kommentare

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8martin

vor 7 Monaten

Von dem Lob, das man über den Film von Ken Loach ausgeschüttet hat, möchte ich mich vor allem zu der Ambivalenz des genialen Titels äußern. Der bezieht sich zunächst auf jeden einzelnen der Familie Turner, der sich von der Gemeinschaft zurückzieht bzw. von einem Mitglied zurückgeholt werden muss. Hier betrifft es vor allem den Sohn Sebastian (Rhys Stone), der Gefahr läuft auf die schiefe Bahn zu geraten. Dagegen ziehen die jüngere Schwester Liza (Katie Proctor) ins Feld, neben Vater Ricky (Kris Hitchen) und Mutter Abbie (Debbie Honeywood), die am meisten für den Zusammenhalt der Familie tut. Es geht hier um ihr wirtschaftliches Überleben im Raubtierkapitalismus.
Die zweite Bedeutung des Titels steht auf dem Zettel, den der Paketdienst den Kunden in den Briefkasten wirft ‘Wir haben Sie leider nicht angetroffen‘. Genau den Job hat Vater Ricky, der bis zum Umfallen von der Firma ausgebeutet wird. Ken Loachs alter Freund und Drehbuchautor Paul Laverty weiß auch keine Lösung. Er lässt den überfallenen und zusammengeschlagenen Familienvater Ricky einfach weitermachen. Als Schutzbehauptung fährt er nochmal ins Krankenhaus, obwohl er tags zuvor schon unbehandelt weggeschickt worden war.
Das gut gecastete Ensemble überzeugt sowohl in ruhigen Einstellungen als auch in handfesten Auseinandersetzungen. Gut, aber nicht Kens bester.Mehr anzeigen


artur_vogel

vor 4 Jahren

Langweilig


nick74

vor 4 Jahren

Fand ich gut, sehens- und empfehlenswert, aber "Meisterwerk" war es keines, daher auch 4 von 5 Sternen.


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