CH.FILM

Loulou Schweiz 2019 – 70min.

Filmkritik

Sich ein Bild machen

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Filmen als Selbsttherapie: Nathan Hofstetter litt an paranoider Schizophrenie, an Wahrnehmungsstörungen. Er beschloss, seine Umgebung, Eltern, Vertrauten, Freund und Freundin zu filmen. Das half ihm, wieder realen Boden unter den Füssen zu finden. Eine spannende Reise auch für Unbeteiligte.



Es gibt ein französisches Sozialdrama mit Isabelle Huppert und Gérard Depardieu aus dem Jahr 1980: Loulou – der ist ein arbeitsloser Herumtreiber und Charmeur. Er hat freilich nichts mit dem Dokumentarfilm Loulou von Nathan Hofstetter zu tun. Der kann nicht schlafen. Bei ihm verwischen sich Wahrnehmungen. Man hat festgestellt, dass er an paranoider Schizophrenie leidet. Und so beschloss Nathan, sich und seine unmittelbare Welt in Bildern festzuhalten. Unsichtbares quasi sichtbar zu machen, Reflexionen der Wirklichkeit festzuhalten. Schärfe wird von Unschärfe abgelöst. Bilder lösen sich auf, verfestigen sich wieder.

Nathan tauscht sich mit seinem bipolaren Freund, seiner Freundin Alice aus. Er begegnet seiner Mutter ein letztes Mal (sie stirbt während der Dreharbeiten 2011-2018), sucht die Nähe seines Vaters Laurent, der einmal wunderbar zart ein Lied vorträgt. Nathan klammert sich an Bilder, zeichnet Räume des Vertrauten, beschönigt nicht, verschleiert nicht. Die Wahrnehmungen durchkreuzen sich. Das Visionäre verschmilzt mit Realem. Ein Brunnen – am Anfang und am Ende – markiert einen sicheren Halt, ein Symbol für Aufbruch, für Leben vielleicht. Eine Reise auch, die von Neuenburg bis Norwegen führt.

Ein Film als Selbsttherapie, und doch kommt man sich nie als Voyeur vor, eher als interessierter Sympathisant. Loulou ist ein aussergewöhnlicher Film – Einladung und Offenbarung zugleich. Er ist nicht selbstverliebt, sondern spiegelt Gefühle, Empfindungen, Annäherungen und Lebensbejahung wieder. Er zeichnet kein konkretes Bild der psychischen Erkrankung Schizophrenie, sondern einen Menschen, der mit Hilfe naher Freunde und Bekannter Orientierung sucht und findet, auch um innere Fremde, Ängste und Unsicherheit zu überwinden. Loulou ist ein beliebter Vorname, aber auch Ausdruck für Liebling, Schätzchen. Freunde nennen alle leicht "verrückten", liebenswerten Menschen Loulou, so eben auch Nathan. Der hat übrigens einen Goldenen Leoparden (Pardi di Domani) mit seinem Kurzfilm Radio-actif in Locarno 2012 gewonnen.

07.10.2020

3.5

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