Les hirondelles de Kaboul Frankreich 2019 – 80min.

Filmkritik

Liebe zwischen Chaos und Tyrannei

Björn Schneider
Filmkritik: Björn Schneider

Im französischen, zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan angesiedelten Animations-Drama Les Hirondelles de Kaboul keimen Liebe und Hoffnung in einer lebensfeindlich gewordenen Welt auf.

Kabul im Sommer 1998: Weite Teile der Stadt liegen in Trümmern, die Taliban haben die Stadt besetzt. Und ihnen ist jedes Mittel Recht, um einen radikal-islamischen Gottesstaat zu errichten: Gewalt, Unterdrückung und drakonische Strafen bei der kleinsten Zuwiderhandlung. Inmitten des Terrors leben Zunaira und Mohsen, ein junges Liebespaar. Sie hoffen, trotz der täglichen Restriktionen und des Elends in der Stadt, auf eine bessere Zukunft. Doch alles ändert sich, als Mohsen eine Unachtsamkeit begeht, deren Folgen das Leben der beiden auf den Kopf stellt.

Die Regisseurinnen Zabou Breitman und Eléa Gobbé-Mévellec erzählen noch eine zweite Geschichte, die exemplarisch für das Dilemma steht, in dem sich viele afghanische Ehemänner nach der Machtergreifung der religiösen Fanatiker befanden. Es geht um Atiq, einen verheirateten Mann mittleren Alters, der sich mit dem Weltbild der Taliban nicht identifiziert. Mehr noch: Der es insgeheim verabscheut. Und der für die neuen Machthaber trotzdem in einem gefürchteten Frauengefängnis als Wärter arbeiten muss. Diesen Konflikt zwischen innerer Ablehnung und scheinbar treuer Gefolgschaft arbeitet der Film vielschichtig und eindringlich heraus.

Und noch etwas anderes veranschaulicht er auf radikale Weise: Les Hirondelles de Kaboul vergegenwärtigt, wie unnachgiebig frauenfeindlich die Taliban von Beginn an vorgingen. Ohne männliche Begleitung durften Frauen das Haus nicht verlassen, Bildung wurde ihnen verwehrt und in der Öffentlichkeit mussten sie sich vollverschleiert zeigen. Die Keuschheit und Würde der Frau sollte wiederhergestellt werden.

In fast beiläufig eingestreuten und unsentimental umgesetzten Szenen konfrontieren Breitman und Gobbé-Mévellec den Kinobesucher mit diesen demütigenden, menschenverachtenden Methoden. Es ist die Alltäglichkeit des Terrors und der Aggression, die fassungslos macht und schon in den ersten Minuten schockiert. Breitman und Gobbé-Mévellec gebührt grosses Lob, da sie nichts beschönigen und verharmlosen, sondern den Alltag der Menschen so zeigen, wie er war: geprägt von Angst, Missmut und Resignation.

Der Tragik der Ereignisse setzen sie eine fast märchenhaft anmutende, an Aquarellmalerei erinnernde Optik entgegen. Die Animationen überzeugen durch eine gelungene, teils perspektivische Wirkung – und obwohl Ocker- und Grautöne dominieren, wirken die animierten Sequenzen mitunter beachtlich lebhaft und regelrecht luftig-leicht. Ein raffinierter Kontrast zur Handlung, wodurch die Vorkommnisse auf der Leinwand nur noch drastischer erscheinen.

05.12.2019

4.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 4 Jahren

Menschlich an allem Inhumanen. Der Krieg ist ein Monster. Und gebiert Monströses.


Yvo Wueest

vor 4 Jahren

Berührendendes, grosses Animations-Kino. Im Mittelpunkt der Geschichte: zwei unterschiedliche Ehepaare, die sich gezwungen sehen, dem stetigen Abgleiten in die Barbarei zu widerstehen. Der Film hilft, die verworrene Lage in Afghanistan besser zu verstehen. Gerade heute, wo sich die USA aus geopolitischen Gründen anschicken, die grausamen und verrückten Taliban zurück in die politische Stube zu holen.Mehr anzeigen


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