It Must Be Heaven Kanada, Frankreich, Deutschland, Palästina, Katar, Türkei 2019 – 102min.

Filmkritik

Der Herr der Stille

Benjamin Dinkel
Filmkritik: Benjamin Dinkel

In seinem teils etwas gar bedächtig erzählten Film It Must Be Heaven (deutscher Titel: «Vom Giessen des Zitronenbaums») entwirft der palästinensisch-israelische Regisseur Elia Suleiman ein ebenso burleskes wie gesellschaftskritisches Panorama einer Welt im Wandel – und präsentiert gleichzeitig eine der wortkargsten Hauptfiguren der Filmgeschichte.

Der Regisseur Elia Suleiman lebt in Nazareth. Wenn er nicht gerade seinen Zitronenbaum giesst oder mit stoischer Miene den Nachbarn zuhört, sitzt er in Wirtshäusern und beobachtet das tägliche Treiben. Etwas Abwechslung kommt da gerade recht: Um Geld für seinen neuen Film zu sammeln (übrigens jener, den das Publikum gerade sieht), reist er nach Paris und New York – und wirft dabei einen ganz eigenen Blick auf beide Metropolen…

In der Stille liegt die Kraft. Dieses Credo treibt Suleiman hier auf die Spitze. Der von ihm selbst verkörperte Protagonist – ein Alter Ego des Regisseurs – spricht gerade mal fünf Worte. Schwarzeneggers Terminator wirkt im Vergleich dazu geradezu eloquent. Das Schweigen ist aber dramaturgisch begründet: Im Zentrum des Films steht nämlich weniger der Protagonist, sondern seine Umgebung. Suleimans Figur führt zwar durch den Film, bleibt selbst aber meist nur passiver Beobachter.

So entfaltet sich ein Tableau verschiedenster, teilweise skurril-absurder Alltagsepisoden: vom Nachbarn, der dreist aus Suleimans Garten die Zitronen klaut, über die französischen Strassenarbeiter, die während der Arbeit kurzerhand ihre Besen zu Minigolfschlägern umfunktionieren, bis zum amerikanischen Einkaufsalltag, wo ganze Familien bis an die Zähne bewaffnet durch die Läden schlendern. Vielfach spürt der Film auch den Parallelen und Unterschieden des Alltags in Nazareth, Paris und New York nach. Sehr amüsant: die unterschiedlichen polizeilichen Methoden der Kleinkriminellen-Verfolgung.

Das Clevere an diesen Alltagsepisoden ist ihre Doppelbödigkeit: Viele Szenen wirken zunächst heiter-humorvoll, sind aber durchaus gesellschaftskritisch. So kann der scheinbar harmlose Zitronenbaum-Raub des Nachbarn auch als Verweis auf die Annexion des palästinensischen Gebiets durch Israel verstanden werden – und die im Film gezeigte Omnipräsenz der Polizei als Warnung vor der drohenden Gefahr globaler Überwachungssysteme. It Must Be Heaven ist insofern ein äusserst zweideutiger Titel.

Die meditative Stille, die diesen Film durchzieht, ist einerseits faszinierend, weil so die poetischen Bilder besser zur Geltung kommen, und Raum gelassen wird für eigene Deutungen und Reflexionen. Gleichzeitig erschweren gerade diese Deutungsoffenheit, die allgemeine Handlungsarmut sowie das Fehlen einer wirklichen Identifikationsfigur auch das Eintauchen in den Film. So ist It Must Be Heaven zwar himmlisch bebildert, witzig gespielt und gespickt mit scharfsichtigen Beobachtungen, der Film kann seine erzählerischen Defizite aber nicht immer verbergen.

13.03.2020

3.5

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Kommentare

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thomasmarkus

vor 3 Jahren

Hat was, dass es gegen Ende lähmend wird.
Vielleicht eben so lähmend, wie die Friedenssuche (die, so der Wahrsager, glücken wird - aber nicht zu Lebzeiten).
Ganz spezieller Soundtrack.
So dass ein Stück weit schad, dass von den 'fünf gesprochenen Wörtern' des Protagonisten
(ich spräche eher von 'zwei (substantiellen) Substantiven')
über die Hälfte schon verraten werden...
Vielleicht aber auch schon wieder subtil eingespielt, dass zu viel grosse Worte gemacht werden,
zum Nahost-Konflikt.Mehr anzeigen

thomasmarkus

vor 3 Jahren

Und: L'humaine Comédie winkt im Hintergrund


Filmenthusiast

vor 3 Jahren

Ist schon oft lustig, aber so ab der Filmhälfte wird er zunehmend anstrengend, weil nichts passiert und sich die Komik mit seinem wortlosen Blick ständig wiederholt. Gegen Ende hätte ich das Kino am liebsten früher verlassen, da wurde er echt langweilig.

Zuletzt geändert vor 3 Jahren


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