CH.FILM

Tscharniblues II Schweiz 2018 – 83min.

Filmkritik

Das Recht aufs Scheitern

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Ausgehend vom halbfiktiven Dokfilm Dr Tscharniblues (B. Nick, 1979) forscht Aron Nick der heutigen Befindlichkeit von dessen Protagonisten nach. Ein Gruppenporträt, das mindestens so viel, wie es über die Generation der Älteren erzählt, über den Regisseur selber verrät.

Als „Ur-Selfie“ bezeichnet Aron Nick Dr Tscharniblues – einen herrlich wild-wirren Super-8-Film, den sein Onkel und sein Vater zusammen mit vier Freunden Ende der 1970er-Jahre drehten. Die sechs Jungs wuchsen auf im Tscharnergut, der ersten, in den 60er-Jahren erstellten Berner Hochhaus-Siedlung. Der halbfiktive Dokfilm, der so unverbrämt die Gefühle der Jugend spiegelt, wurde an den Solothurner Filmtagen 1980 frenetisch gefeiert, retrospektiv betrachtet mutet Dr Tscharniblues an wie ein in der Vorahnung der anbrechenden Jugendbewegung gedrehtes Manifest.

Nun hat Aron Nick Dr Tscharniblues hervorgekramt, und dessen Protagonisten erneut vor die Kamera gebeten: seinen Vater Bäne, Yvu, Ribi, Eggi und Stüfi. Nicht mehr dabei ist Bruno Nick, der das Filmprojekt anriss und die Songs komponierte. Verglüht sei er, sagen seine Freunde, jung gestorben an seiner Empfindsamkeit, seinem Künstlertalent, an Drogen, einer psychotischen Veranlagung, wer weiss das schon genau.

Aron Nick hat als Basis für seinen Film im Tscharnergut eine Wohnung gemietet. Es sei ein bisschen wie „Heimkommen“ sagt sein Vater; die Zusammenkunft der Freunde von damals hat etwas von einem Klassentreffen an sich. Man redet von vergangenen Zeiten. Erinnert sich an die Träume, die Hoffnungen von damals; nicht jeder hat diese so erfolgreich umgesetzt wie Stüfi, der heute als Schauspieler bekannte Stefan Kurt (Papa Moll). Doch auch Scheitern, philosophiert die Runde, könnte ein Lebenskonzept sein.

Ab und zu verlässt man die Wohnung, spürt unter Stüfis Anleitung auf dem alten Spielplatz Gefühlen nach, baut wie damals an der Aare eine Schwitzhütte; hin und wieder knüpft sich Aron Nick einen Einzelnen vor, begleitet ihn nach Hause, stellt Fragen. Vieles ist heiter. Manchmal aber gewinnt Melancholie die Überhand. Nicht nur Bruno fehlt im Film, sondern auch „Gindle“, die einzige Frau unter den sechs „Gielen“, welche ein zu Beginn eingeblendetes Foto zeigt: Arons Mutter.

Sie ist jung gestorben; in einer Art „PostScript“ holt Aron im letzten Teil von Tscharninblues II ein, was einen grossen Teil seiner Kindheit überschattete: Die Tatsache, dass Bänu nach dem Tod seiner Frau zwar für seine Kinder da war, sich selber aber abhanden kam. Ein starker Film.

05.04.2019

4

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Kommentare

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Ursina

vor 4 Jahren

Ein sehr ehrlicher Film über Freundschaft, Identität, Schicksalsschläge, Ansichten und Träume. Dabei wird auch dem persönlichem Erfolg/„Nichterfolg“ im Zusammenhang mit der Gesellschaft und Freundschaft eine wichtige Bedeutung gegeben. Ein wirklich sehr gelungener und emotionaler Film. Aron Nick gelingt es dabei, das „Damals und Heute“ auf eine interessante und subtile Weise zu verbinden.Mehr anzeigen


selinaburri

vor 4 Jahren

Wunderbar!


RuediSig

vor 5 Jahren

War in Bern an einer Vorpremiere. Ein guter und ein sehr empfehlenswerter stiller, lauter und bunter Film.


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