CH.FILM

Eldorado Schweiz 2018 – 100min.

Filmkritik

Furcht vor der Flucht und Flüchtlingen

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Flüchtlinge gehen uns alle an. Manche wollen sie aussperren, sich abschotten, andere helfen. Vor 38 Jahren (!) hat sich Markus Imhoof mit dem Thema Flucht im Spielfilm «Das Boot ist voll» befasst. Nun schildert er, wie Menschen übers Mittelmeer schippern, um ihr «Eldorado» zu finden, und in einem Verwaltungsapparat landen. Ein tiefgründiger Dokumentarfilm aus ganz persönlicher Sicht – von globaler Bedeutung.

Der Mensch ist vergesslich, besonders wenn er an unangenehme Tatsachen und Ereignisse erinnert wird. Vergessen wird gern, dass Europa, die Schweiz inbegriffen, ein Auswanderer-Kontinent war. Es waren Wirtschaftsflüchtlinge im 19. und 20. Jahrhundert, die ihr Glück, ihr Eldorado in Amerika suchten. Filmemacher Markus Imhoof hatte vor 38 Jahren die Flüchtlingsproblematik im Spielfilm Das Boot ist voll aufgegriffen. Im Zweiten Weltkrieg machte die Schweiz ihre Grenzen dicht und schickte Tausende jüdischer Flüchtlinge in die Nazi-Konzentrationslager. Die Schweizer Regierung hatte angeordnet, politisch Verfolgte zu dulden, rassistisch verfolgte Menschen jedoch, also auch Juden, zurückzuweisen. Markus Imhoof hätte nicht gedacht, dass fast 40 Jahre danach, in der Schweiz wieder vom «vollen Boot» geredet würde. Er erinnert sich an das Schicksal des Flüchtlingsmädchens Giovanna, die im Hause Imhoof für einige Zeit zwecks Erholung aufgenommen wurde, dann aber eines Tages nach 1945 zurück nach Italien musste. Giovanna wurde krank und starb.

Und heute? Tausende von Flüchtlingen suchen ihr Heil in Europa. Markus Imhoof hat zehn Tage auf dem Rettungskreuzer San Giusto verbracht, der im Rahmen der italienischen Operation «Mare Nostrum» Flüchtlinge vor der lybischen Küste auffischte. Zuletzt befanden sich 1800 Menschen an Bord des Schiffs. Imhoof und Kameramann Peter Indergand erlebten, wie die meist jungen Männer, Frauen und Babys versorgt wurden. Sie begleiteten Menschen in den Auffangcamps, erlebten Kontakte der Asylsuchenden mit Schweizer Grenzbeamten und die Maschinerie des Verwaltungsapparats. Aber auch Asylsuchende, die auf Feldern arbeiteten. Eine «Frucht der Globalisierung»: Hilfsarbeiter ernten Tomaten, die dann, verarbeitet in Konserven, in Afrika landen, wo sie billiger angeboten werden als die einheimischen Tomaten.

Flucht, Flüchtlinge und die Folgen gehen uns alle an. Das führt Imhoofs Dokumentarfilm markant vor Augen. Die Sehnsucht nach dem Eldorado ist ungebrochen. Seit dem Jahr 2000 sind 30 000 Menschen auf der Flucht ertrunken. Der ewige Flüchtlingsstrom – vom Volke Israels bis zu Afrikanern oder Asiaten (Rohingya) – nimmt nicht ab. «Die Krise ist nicht vorbei, sie fängt erst an, bald kommen auch noch die Klimaflüchtlinge», bemerkt Markus Imhoof und setzt mit seinem packenden Beitrag ein starkes Ausrufezeichen. Sein hautnaher Film ist ein engagiertes, persönliches Dokument über eine globale und gesellschaftliche Humanitätskrise.

03.04.2024

4

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Kommentare

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Patrick

vor 6 Jahren

Kein Spielfilm kan das Thema Flüchtlinge näher bringen als dieser Dokfilm den nur Dokfilme kommen richtig echt und lehrreicherer rüber.Auch die Geschichte des Kindes Giovanna das zur Erholung von der Nazizeit bei der Familie Imhoof war und dem heutigem Flüchtling Thema ist Filmisch grandiosen vermischt und die Bilder der Dokumentation werden einem Tage hinaus noch beschäftigen.Mehr anzeigen


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