Thelma Dänemark, Frankreich, Norwegen, Schweden 2017 – 110min.

Filmkritik

Am Scheideweg

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Obwohl der Mystery-Thriller Thelma ein wenig an Stephen Kings Horrormär Carrie und deren Leinwandadaptionen erinnert, überrascht der norwegische Regisseur Joachim Trier (Louder Than Bombs) mit einem erfrischend eigenständigen, bildgewaltigen Film, der von einer vorzüglichen Hauptdarstellerin getragen wird.

Nach Jahren in der Provinz verschlägt es die aus einem streng religiösen Elternhaus stammende Thelma (Eili Harboe) in das lebendige Oslo, wo die unsichere junge Frau ein Studium der Biologie beginnt. Ihr Vater (Henrik Rafaelsen) und ihre Mutter (Ellen Dorrit Petersen) sehen den großen Schritt mit einiger Sorge und wollen ständig auf dem Laufenden gehalten werden. Ihre Tochter lebt sich zunächst mehr schlecht als recht in der neuen Umgebung ein und bekommt es mit der Angst zu tun, als sie eines Tages in der Uni-Bibliothek eine Art epileptischen Anfall erleidet, der die Ärzte vor ein Rätsel stellt. Kurz darauf lernt sie ihre Kommilitonin Anja (Kaya Wilkins) kennen und entwickelt zum ersten Mal starke romantische Gefühle. Während sich die beiden näherkommen, zeichnet sich langsam ab, dass Thelma gefährliche übernatürliche Kräfte besitzt.

Triers Geschick als Erzähler und Arrangeur atemberaubender Bilder zeigt sich schon in der Prologsequenz. Thelmas Vater und die knapp sechsjährige Titelheldin (Grethe Eltervåg) stapfen hier durch eine menschenleere Schneelandschaft und treffen in den Wäldern auf ein Reh, das der Mann – so scheint es – erlegen wird. Als er sein Gewehr ansetzt, dreht er sich jedoch unbemerkt zu seiner Tochter um, zielt auf sie, schafft es aber nicht, auch wirklich abzudrücken. Mit einfachen Mitteln schürt der Film bereits an dieser Stelle eine mysteriös-beklemmende Stimmung und gibt dem Zuschauer Fragen mit auf den Weg, die sich erst im Verlauf der Handlung klären werden.

Thelmas Hadern mit ihren Anfällen und ihr Schwanken zwischen den Moralvorstellungen ihrer Eltern und dem verlockenden, aufregenden Studentenleben drückt sich in Eili Harboes feinfühliger Darstellung auf denkbar faszinierende Weise aus. Eindringlich zeichnet die junge Norwegerin das Bild einer zerrissenen jungen Frau, die ihre eigene Stimme sucht, von Schuldgefühlen zerfressen ist und sich mehr und mehr mit ihrem Körper vertraut macht. Die übernatürlichen Elemente baut der Regisseur umsichtig in seine düster-brodelnde Coming-of-Age-Geschichte ein, die sich nie vollends den Horror- und Thriller-Gesetzen beugt. Oftmals reichen symbolisch aufgeladene Andeutungen, unheilvolle Klänge oder etwas länger stehenbleibende Einstellungen aus, um den Betrachter zu verunsichern und das Interesse an Thelmas Abnabelungsprozess konstant aufrechtzuerhalten.

19.03.2018

4

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Kommentare

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8martin

vor 2 Jahren

Früher traf der Sponti-Spruch den Nagel der Ratlosigkeit auf dem Kopf ‘Wenn du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis.‘ Wenn heutige Autoren vor diesem Problem stehen kramen sie zwei stilbestimmende Begriffe hervor ‘Mystery‘ und ‘Horror‘, eventuell noch Psi aus der Metaebene. Das hat Joachim Trier hier ebenfalls praktiziert: die Titelfigur ist ein spätpubertierendes Landei, das in die Stadt zum Studieren kommt (Biologie sic!). Eine lesbische Liebe zur Kommilitonin Anja (Okay Kaya) bestimmt ihre erwachende Sexualität. Epileptische Anfälle machen aus Thelma etwas Besonders. In Retros friert sie ihren kleinen Bruder in der Eisfläche des Sees ein, ihr Vater fängt Feuer und verbrennt, Mutter erhebt sich aus dem Rollstuhl und erspart sich eine Fahrt nach Lourdes oder Fatima. Eine Schlange kriecht in Thelmas Mund…
Als Ursachen für diese wundersame Horrorshow bietet uns der Regisseur unterdrückte Sexualität und tiefe Religiosität an. Die Auswirkungen kann man sehen, muss sie aber nicht glauben. Wieso regt sich da der Widerstand des gesunden Menschenverstandes?
K. V.Mehr anzeigen


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