Jusqu'à la garde Frankreich 2017 – 93min.

Filmkritik

Umkämpft

Christopher  Diekhaus
Filmkritik: Christopher Diekhaus

Wenn eine Ehe kaputtgeht, Liebe in Feindseligkeit umschlägt und eine Scheidung der letzte Ausweg ist, tragen Erwachsene ihre Konflikte oftmals auf dem Rücken ihrer Kinder aus, die sich plötzlich zwischen den Fronten wiederfinden. Sehr eindrücklich beschreibt dies Jusqu’à la garde, der erste Spielfilm des Franzosen Xavier Legrand, der sich von einem beklemmenden Sorgerechtsdrama langsam zu einem nervenaufreibenden Thriller wandelt.

Nach der Trennung von ihrem angeblich gewalttätigen Ehemann Antoine (Denis Ménochet) setzt Miriam Besson (Léa Drucker) alles daran, das alleinige Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn Julien (Thomas Gioria) zu erhalten. Da dessen Vater die Anschuldigungen jedoch glaubhaft entkräften kann, fällt das Familiengericht einen Beschluss, der weder der Mutter noch dem 11-Jährigen behagt: Jedes zweite Wochenende soll der Junge von nun an bei Antoine verbringen. Ein Abkühlen der Emotionen will sich trotz dieser Regelung allerdings nicht einstellen. Vielmehr nehmen die Spannungen immer weiter zu.

Dafür dass Legrand in seiner ersten abendfüllenden Regiearbeit ein aufgeheiztes familiäres Szenario entwirft, erstaunt die zuweilen fast dokumentarische Nüchternheit, mit der er seiner Geschichte begegnet. Wie wirkungsvoll dieser unaufgeregte Ansatz ist, zeigt schon die bürokratisch anmutende, den Betrachter aber dennoch sofort packende Auftaktsequenz. Mehr als 15 Minuten lang wird das Publikum Zeuge einer Anhörung vor einer Richterin, die beide Parteien zu Wort kommen lässt. Aussage steht hier gegen Aussage, weshalb es zu diesem Zeitpunkt noch äusserst schwerfällt, Wahrheit und Lüge voneinander zu trennen. Ein Problem, das Juristen in Sorgerechtsangelegenheiten ständig ereilen dürfte.

Die anfängliche Ambivalenz gibt der ohne Musik auskommende, in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnete Film zwar im weiteren Verlauf auf, um sich klar auf eine Seite zu schlagen. Von seiner zurückgenommenen Inszenierung rückt er jedoch kein bisschen ab. Gerade weil Legrand effekthascherische Mittel umgeht, treten die eindringlichen Darbietungen der Schauspieler umso stärker in den Vordergrund, was wiederum maximales Zuschauerinteresse bewirkt. Auch wenn man irgendwann damit rechnet, dass die bedrohlich brodelnde Gefühlsmelange aus Angst, Verunsicherung, Eifersucht und gekränktem Stolz zu einem grossen Knall führen muss, wird man vom erschütternden Finale regelrecht überrumpelt. Dass Jusqu’à la garde lange nachhallt, liegt auch und vor allem an der schmerzhaft glaubwürdigen Handlungsentwicklung, die der Regiedebütant direkt aus dem wahren Leben gegriffen zu haben scheint.

03.04.2024

4

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