The Salesman Frankreich, Iran 2016 – 125min.

Filmkritik

Hinter dem Vorhang

Stefan Staub
Filmkritik: Stefan Staub

Nach seinem eindringlichen Beziehungsdrama Le Passé, das er in Frankreich realisiert hat, ist der iranische Autorenfilmer Asghar Farhadi für The Salesman in den Iran zurückgekehrt. Die Brüchigkeit einer Liebesbeziehung steht auch hier wieder im Vordergrund. Farhadi verknüpft das Drama um einen Missbrauch auf subtile Weise mit Arthur Millers «Tod eines Handlungsreisenden» und wurde dafür absolut zu Recht in Cannes mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Mitten in den Proben zum Theaterstück «Tod eines Handlungsreisenden» sehen sich Emad (Shahab Hosseini) und Rana (Taraneh Alidoosti) gezwungen, aus ihrer einstürzenden Wohnung zu flüchten. Zwar findet ihnen ein Schauspielkollege umgehend einen geeigneten Ersatz, doch die Vormieterin erweist sich für das junge Paar als unerwartet schwere Hypothek. Erst weigert sie sich, ihren persönlichen Hausrat aus dem Kinderzimmer zu räumen, dann wird Rana von einem Unbekannten überrascht und sexuell missbraucht. Es stellt sich heraus, dass der Mann zur Vormieterin wollte, die in der Wohnung als Prostituierte gearbeitet hatte. Rana möchte den Vorfall am liebsten vergessen und weigert sich den Missbrauch anzuzeigen. Doch das Ungewisse lastet schwer auf der Beziehung und während sich Theaterinszenierung und Realität immer stärker verschränken, beschliesst Emad auf eigene Faust nach dem Täter zu suchen.

Asghar Farhadi hat nach A Separation und Le Passé mit The Salesman erneut ein eindringliches Beziehungsdrama inszeniert und beweist damit, dass er weltweit zu den aktuell interessantesten Autorenfilmern seiner Generation gehört. Kunstvoll verknüpft er die Erzählebenen, spiegelt und kommentiert in der Theaterhandlung die Konflikte der eigentlichen Geschichte. Dabei driftet er jedoch nie in eine theatralische Künstlichkeit ab, sondern behandelt das Thema Missbrauch mit einem kompromisslosen Realismus, wie man ihn aus den Filmen von Mike Leigh oder den Gebrüder Dardenne kennt. Sein vielschichtiges Drama entwickelt nach und nach einen Sog, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen kann und wartet mit einem Finale auf, das kaum aufwühlender sein könnte. In The Salesman kommt der sexuelle Missbrauch zwar nie explizit zur Sprache, was die iranische Zensur wohl auch nicht zugelassen hätte, trotzdem gelingt dem Film eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Thema, die einen dazu anregt, seine eigenen moralischen Wertvorstellungen zu hinterfragen.

Farhadi übt dabei zumindest implizit auch Kritik an der streng patriarchisch dominierten iranischen Gesellschaft. Umso erfreulicher ist es, dass der Film trotz Widerstand von politisch-konservativer Seite als offizieller Beitrag für den besten fremdsprachigen Film ins Oscar-Rennen geht. Die Chancen für eine Auszeichnung stehen gut. Denn The Salesman ist intelligentes und packendes Kino, das über den Abspann hinaus zum Denken anregt.

13.01.2017

5

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Kommentare

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Patrick

vor 7 Jahren

Präzis beobachtetes und intensives gespieltes Kammerspiel das ein wenig länge hat und daher langatmig wirkt.Die Gegenüberstellung vom Ehemann dessen Mißbrauchten Gattin und dessen Täter ist Famos gespielt und wirkt sehr bedrückend,bedrückt verlässt man auch den Kinosaal.Ob The Salesman auch den Oscar 2017 (in der sparte Fremdsprachiger Film) beeindrucken kan wird sich am 26.02.17 herzustellen.Mehr anzeigen


Yvo Wueest

vor 7 Jahren

Manchmal gerät das Leben durch ein erschütterndes Ereignis aus dem Gleichgewicht. Dann greifen Menschen auf alte und „bewährte“ Muster zurück: Verzweiflung, Wut, Rache.

In dieser mit einem Theaterstück und den Protagonisten einer Theater-Crew verwobenen Geschichte läuft vieles anders. Der Film zeigt die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen und die Schwierigkeit, miteinander wirklich ins Gespräch zu kommen. Dies in einem Kontext, in dem Ehre, Scham und die Frage der sexuellen Gleichberechtigung ganz anders konnotiert und angesprochen werden.

Das Thema „Vergebung“ bricht an überraschender Stelle hervor. Und so erstaunt es nicht, dass der gefeierte Regisseur - wie mehrfach in Interviews erwähnt- seinen Film explizit den „Verlierern“ widmet, für die sich sonst nie jemand interessiert.

Wer „A Separation“ gesehen und bestaunt hat, in dem bereits Schicht um Schicht entfernt und ein Stück individueller Wahrheit ans Licht geholt wurde ... dem sei dieser kleine, aber in seiner Erzählstruktur gereifte und noch tiefgründiger Film unbedingt empfohlen.Mehr anzeigen


thomasmarkus

vor 7 Jahren

Spannend, wie sich die Sympathien im Verlauf des Filmes verschieben können -
auch ein Schuldiger bleibt Mensch und hat Menschlichkeit verdient.
Hier zeigt das Opfer Grösse,


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