Manchester by the Sea USA 2016 – 138min.

Filmkritik

Das Leben nach dem Tod in Manchester-by-the-Sea

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

Bei den diesjährigen Golden Globes war Manchester by the Sea einer der Favoriten, musste sich aber mehrheitlich La La Land geschlagen geben. Nur Casey Affleck wurde als bester Schauspieler in einem Drama geehrt. Verdient hätte Kenneth Lonergans Film weit mehr Preise, weil er es versteht, eine sehr menschliche Geschichte authentisch, aber auch mit einem Sinn für trockenen Humor zu erzählen.

Lee Chandler (Casey Affleck) kommt nur nach Manchester-by-the-Sea, wenn es seinem Bruder Joe (Kyle Chandler), der an einer Herzkrankheit leidet, schlecht geht. Ansonsten bleibt er der Stadt fern und fristet sein Dasein in Boston als schlecht bezahlter Hausmeister. Als Joe stirbt, muss Lee sich um alles kümmern, vor allem aber auch um seinen Neffen Patrick. Er, der schweigsame Einzelgänger mit dem gebrochenen Herzen, kann Manchester-by-the-Sea und die Erinnerungen an nie verheilte Wunden, nicht ertragen, und soll doch plötzlich als ein Vater agieren. Aber ist Lee dieser Herausforderung überhaupt gewachsen?

Manchester by the Sea ist ein langsam erzählter, aber intensiver Film mit einem überragenden Casey Affleck. Aufgrund der Struktur der Geschichte, bei der die gegenwärtige Handlung immer wieder durch Rückblicke auf das, was Lee dazu brachte, seiner Heimatstadt den Rücken zu kehren, unterbrochen wird, hat man im Grunde zwei Versionen derselben Figur. Man erlebt Lee als einen lebenslustigen Mann, aber auch als das waidwunde Wrack, das er heutzutage ist. Affleck porträtiert einen Menschen vor einem alles verändernden Trauma – und danach. Der Unterschied ist gigantisch, aber subtil gespielt.

Der gegenwärtige Lee zeigt kaum noch Emotion und scheut Interaktion. Er begegnet der Welt auf trockene, lakonische Art und Weise. Daraus bezieht dieser Film seine immense Wärme. Er ist angesichts der Geschichte erstaunlich witzig, wenngleich diese Art von schwarzem Humor, den Lee und sein Neffe Patrick teilen, vielleicht nicht jeden Zuschauer erreicht.

Kenneth Lonergan erzählt aus dem wahren Leben. Das macht er unaufgeregt und authentisch, warmherzig und gütig, aber immer auch mit einem Blick auf die Agonie, die Menschen aus der Bahn werfen kann. Er übertreibt es dabei nie, sein Skript ist makellos, und es profitiert von grandiosen Darstellern. Neben Affleck ist das vor allem Michelle Williams als seine Ex-Frau Randi. Es ist eine kleine, aber imposante Rolle, die in einer herzzerreißenden Szene gipfelt, bei der Randi und Lee sich ein letztes Mal sehen.

Manchester by the Sea ist – das kann man jetzt schon sagen – zweifelsohne einer, wenn nicht gar der beste Film des Jahres.

19.02.2024

5

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Kommentare

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lobo77

vor 6 Jahren

Glaubwürdige Geschichte, sehr gut gespielt.


Barbarum

vor 6 Jahren

Der Film selber ist nicht so herausragend wie das Schauspiel. Die inneren Konflikte der Figuren stehen einer Entwicklung im Wege und als erwartungsfroher Zuseher empfand ich "Manchester by the Sea" letztlich als etwas zu trostlos. Dennoch bleibt es ein feinfühlig erzähltes Drama.


dulik

vor 6 Jahren

Ein sehr trauriger, aber ebenso starker Film.
Durch seine Einfachheit wirkt das ruhige Drama absolut authentisch und zieht einem von Anfang an in seinen Bann.
Casey Affleck wurde hier absolut zurecht mit dem Oscar prämiert, denn seine Leistung ist schlicht und einfach weltklasse. Auch Michelle Williams überzeugt auf voller Linie, kommt aber leider überraschend selten vor. Die Beziehung zwischen den Beiden hätte man noch etwas mehr in den Fokus nehmen, und dafür einige unbedeutendere Szenen streichen können. Dies ist aber nur ein kleines Detail, welches diesem grandiosem Film kaum schadet.
9/10Mehr anzeigen


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