CH.FILM

La idea de un lago Argentinien, Niederlande, Katar, Schweiz 2016 – 82min.

Filmkritik

Eine Geschichte erzählen ohne sie zu erzählen

Filmkritik: Franziska Meierhofer

Der zweite Langfilm der schweizerisch-argentinischen Regisseurin Milagros Mumenthaler ist ein Lehrstück in subtiler Verflechtung von Politik und Familiengeschichte. Carla Crespo überzeugt in der Rolle der charakterstarken Protagonistin Inés, deren Kindheitserinnerungen schichtweise ins Licht gerückt werden. Auf poetische und unaufdringliche Weise taucht La idea de un lago in das Innenleben einer Familie ein.

La idea de un lago ist eine Zeitreise in die Kindheit und Jugend der eigenwilligen Inés aus Buenos Aires, die für die Publikation einer Autobiographie ihre Vergangenheit erforscht. Ein grosses Holzhaus am Ufer eines azurblauen Sees bildet die nostalgische Kulisse für die Erinnerungen an eine Kindheit, denen eine eigentümliche Mischung aus Leichtigkeit und Melancholie innewohnt. Farbenprächtige Bilder einer scheinbar zeitlosen Idylle zeigen einen behüteten, in die Natur eingebetteten Zufluchtsort fernab der Hauptstadt und der politischen Gräuel.

Durch drei Zeitdimensionen reisend, wird die Protagonistin als Kind, als junge Erwachsene und als werdende Mutter in ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrem jüngeren Bruder sichtbar. Nach und nach tasten sich die Bilder durch die Vergangenheit von Ines' Familie. Doch deren düsterste und prägendste Geschichte bleibt im Dunkeln. Nicht über offenlegende Dialoge, sondern über Surreales und Imaginiertes wird die Leere fassbar, die das frühe Verschwinden des Vaters in Inés und ihrer Familie hinterlassen hat. Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit, von realer Erinnerung und surrealer Vorstellung wirkt soghaft und vermittelt auf eindringliche Art die Gespaltenheit der Charaktere. Ein Gefühl des Ungelösten und Unausgesprochenen zieht sich durch den Film und steht dem Effort der Aufarbeitung gegenüber. Diese latente Grundstimmung von Trauer und Sehnsucht wird aufgehellt von den lebensbejahenden Szenen der Erinnerung: die frühmorgendliche Stille und die Brise auf einer Veranda oder die lauschigen Nachmittage familiären Beisammenseins.

Auf behutsame Weise evoziert Mumenthaler, die 2011 mit ihrem Erstling Abrir puertas y ventanas den Pardo d'oro in Locarno gewann, in ihrem zweiten Film die Geschichte eines tragischen Verlustes, ohne sie direkt zu erzählen. Sie tut dies mit solcher Diskretion, dass dem uninformierten Zuschauer der politische Hintergrund der argentinischen Militärdiktatur der 1970er und 80er Jahre glatt entgehen könnte. Doch eben darum gelingt ihr das Familienporträt ohne jedes plumpe Pathos, ohne Anklage und ohne Sentimentalität. Dass auch noch die heitersten Szenen zwischen den Zeilen den Verlust erzählen und dass sich malerische Bilder der Harmonie nahtlos mit unheimlicher Beklemmung abwechseln, gehört zu den Stärken von Mumenthalers Regie, die drei Jahre alt war, als ihre eigene Familie auf der Flucht vor dem Militärregime von Argentinien in die Schweiz emigrierte. Bereits in ihrem ersten Werk thematisierte sie die sozialen, familiären und psychologischen Auswirkungen des Staatsterrors zur Zeit des sogenannt schmutzigen Krieges (guerra sucia). Zwischen 1976 und 1983 wurden schätzungsweise 30'000 regierungskritische Personen, Verschwundene (desaparecidos) genannt, systematisch festgenommen, gefoltert und ermordet. Mumenthalers Filme – beides schweizerisch-argentinische Koproduktionen – reihen sich ein in die anhaltende kulturelle Aufarbeitung dieser erschütternden Ära der argentinischen Geschichte.

12.08.2016

4

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