I, Daniel Blake Belgien, Frankreich, Grossbritannien 2016 – 100min.

Filmkritik

I, Daniel Blake

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Seit 50 Jahren dreht Ken Loach Filme und hat sich dabei früh zum engagiertesten Sozialisten entwickelt, den das europäische Kino zu bieten hat. Um ein Haar wäre damit nun Schluss gewesen: vor zwei Jahren hatte der Brite angekündigt, das wenig überzeugende Historiendrama Jimmy's Hall würde sein letzter Film sein. Doch wohl auch, weil er angesichts aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen nicht tatenlos zuhause sitzen kann, hat er es sich noch einmal anders überlegt – und mit I, Daniel Blake prompt zum zweiten Mal die Goldene Palme beim Filmfestival in Cannes gewonnen.

Um seiner Wut über den Niedergang des britischen Sozialsystems Ausdruck zu verleihen, zieht es Loach dieses Mal in den englischen Nordosten. Dort, in Newcastle-on-Tyne, darf der 59-jährige, verwitwete Tischler Daniel Blake (Dave Johns) nach einem Herzinfarkt nicht mehr arbeiten. Einen anderen Job zu finden gestaltet sich schwierig, und an die Invalidenrente zu kommen, die ihm eigentlich zustehen würde, scheint angesichts der Regeln, Hürden und unflexiblen Mitarbeiter der Sozialhilfe-Agentur ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Als er die alleinerziehende Katie (Hayley Squires) kennen lernt, die nach dem Wegzug aus London einen Neuanfang versuchen will, unterstützen die beiden sich gegenseitig. Doch auch diese unerwartete Freundschaft kann nicht verhindern, dass sowohl Daniel als auch Katie und ihre Kinder immer weiter in die Armut abrutschen.

Wer es nicht leiden kann, wenn ein Film seine politische Agenda vor sich herträgt, der dürfte nicht viel anfangen können mit den meisten Filmen von Ken Loach. I, Daniel Blake stellt da keine Ausnahme dar. Der inzwischen 80-jährige Regisseur macht keinen Hehl daraus, dass sein Herz links schlägt – und zwar heftig. Bisweilen macht er es sich dabei ohne Frage ein bisschen einfach. Hier und da zeichnen Loach und sein regelmäßiger Drehbuchautor Paul Laverty die Situation ein wenig zu schwarzweiß, einiges wird zugespitzt und auch Klischees bleiben nicht aus. Besonders ein kurzer Abstecher ins Rotlichtmilieu wirkt fehl am Platz und wäre überhaupt nicht nötig gewesen.

Übelnehmen mag man das I, Daniel Blake allerdings kaum, schon weil der als Komiker bekannte Johns und Newcomerin Squires in ihren Rollen voll überzeugen. Außerdem gelingt Loach – aller Abstriche zum Trotz – ein realistisches und vor allem sehr bewegendes Bild davon, in welche katastrophale Richtung sich unsere westlichen "Wohlstandsgesellschaften" entwickelt haben. In jedem Moment merkt man ihm die Leidenschaft, aber eben auch die Warmherzigkeit an, mit der er seine Sozialkritik auf die Leinwand bringt. Und nicht zuletzt dafür gebührt ihm Respekt.

20.02.2024

4

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Kommentare

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8martin

vor 8 Monaten

Ken ist wirklich der Größte. Solange dieser kleine, sympathische Brite großartige Filme macht, gibt es Hoffnung, dass das Abendland kulturell nicht untergeht.
Wiederum schafft er es, ein brandaktuelles Thema solide recherchiert so umzusetzen, dass es emotional unter die Haut geht. Und sein Drehbuchautor John Laverty vergisst nie, die Situationen und Dialoge gelegentlich mit einem feinen Witz zu versehen.
Das großartige an den Ken Loach Filmen ist die geniale Mischung aus thematischer Ernsthaftigkeit und dem Mutterwitz der Betroffenen. Und er geht mit der Zeit. Arbeitslosigkeit ist ja kein neues Thema für ihn, nur jetzt sind wir im voll digitalisierten 21. Jahrhundert, abhängig von gefühllosen IT Systemen, die nur drei Ziffern kennen: Eins, Zwei und Null. Auch die Unpersönlichkeit der Entscheider als Vertreter des Staates wird hier echt kafkaesk ad absurdum geführt. Man muss sich einfach in ein unsichtbares Netz von sich teilweise widersprechenden Vorschriften verstricken. Dabei bleibt die Menschlichkeit auf der Strecke. Dan (Dave Johns), der auch zur postdigitalen Generation gehört, kann keinen Computer bedienen und läuft ziellos hin und her zwischen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld. Im Grunde versteht er gar nicht, was da um ihn herum passiert.
Ähnlich wie ihm ergeht es Katie (Hayley Squires), einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern. Für beide geht es auf der sozialen Leiter steil nach unten. Sie verdingt sich bei einem Escort Service und Dan will sie da rausholen. Katie verliert ihre Ehre als Frau, Dan sein Leben. Da hilft auch Nachbarschaftshilfe nicht. Echt tragisch und ausweglos. Ken bringt es auf den Punkt. Es liegt wohl am System. Das ist keine schöne neue Welt, sondern leider Realität. Erschütternd ehrlich. Da gibt es Tränen der Rührung und des Zorns.Mehr anzeigen


dulik

vor 4 Jahren Exzellent

Ein einfaches und bodenständiges, aber genau deswegen sehr packendes Drama über den 59-jährigen „Daniel Blake“, dessen Leben nach einem Herzinfarkt aus den Fugen gerät. Sein Arzt rät ihm vom Arbeiten ab und empfiehlt eine Frühpensionierung. Laut der Krankenversicherung ist der Mann aber arbeitsfähig, wodurch beim Arbeitsamt natürlich eine Konfliktsituation entsteht. „Ich, Daniel Blake“ ist ein Film über die sich oft widersprechende und teils auch unfaire Bürokratie. Auf authentische Art wird vermittelt, wie schnell man, auch ohne etwas verbrochen zu haben, in die Armut abrutschen kann. Mit der Hauptfigur kann man daher bestens mitfühlen. Dieser Film ist auf jeden Fall ein kleiner Geheimtipp!
9/10Mehr anzeigen


HermannDrei

vor 6 Jahren

Gut, dass es auch etwas überspitzt gezeigt wird. Sonst ändert ja nichts. Hervorragender Film der ans Herz geht. Fantastische Darsteller.


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