I Am Not Your Negro Frankreich, USA 2016 – 93min.

Filmkritik

Das Portrait einer Nation

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

Der amerikanische Schriftsteller James Baldwin starb im Dezember 1987, doch er hinterliess ein 30-seitiges Manuskript, das seine persönliche Auseinandersetzung mit den Leben der durch Attentate getöteten Persönlichkeiten Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers darstellt, aber auch seine eigene Vergangenheit berührt, geht es doch um die schwarze Lebenserfahrung in den USA – damals, aber auch heute.

Denn Regisseur Raoul Peck hat sich nicht nur dieses Fragments angenommen und es in einer bemerkenswerten Kombination aus altem Filmmaterial zu einer schmerzhaft ehrlichen Analyse der Repräsentation des Afro-Amerikaners in der US-Kulturgeschichte gemacht, sondern auch darüber hinaus gedacht. Denn Baldwin mag seit fast 30 Jahren tot sein, allzu viel hat sich aber nicht zum Guten geändert. Darum schreibt Peck die Geschichte fort – bis hin zu den Rassenunruhen von Ferguson und der Black-Lives-Matter-Bewegung.

Es sind Baldwins Worte, die hier über allem stehen. Sie stammen direkt aus seinem Manuskript, sie geben seine Gedanken wieder und sie setzen in Kontext, was man auf der Leinwand sieht. Da Baldwin sie selbst nicht mehr sprechen konnte, übernahm Samuel L. Jackson die Aufgabe, der dies mit einer ruhigen, bedachten Art macht, aber man merkt den Furor, der unter der Oberfläche brodelt. Weil das Hollywood jener Zeit Schwarze nicht darstellte bzw. sie zur albernen Witzfigur marginalisierte. Weil die Bürgerrechtsbewegung ihre grössten Stimmen verlor. Weil das weisse Amerika den Schwarzen keinerlei Identifikation mit ihrem Land oder ihrer Gesellschaft zugestand. Und weil es immer noch so ist, wenn man – wie Peck es hier macht – die Bilder der Unruhen in Ferguson aus dem Jahr 2014 dem Monolog von Medgar Evers gegenüberstellt.

James Baldwin ist nicht nur ein Beobachter der Geschichte, er ist Teil davon. Er sprach selbst über Rassentrennung, er traf die Männer, die die Bürgerrechtsbewegung vorangetrieben haben, er traf auch Bobby Kennedy, und er erinnert sich an jene Zeit des moralischen Aufruhrs, der aber mehrheitlich in der schwarzen Gemeinde zu spüren war.

I am not your Negro zeichnet ein beeindruckendes, oftmals auch schmerzhaftes Portrait einer Nation, die noch immer nicht angekommen ist, wo sie sein sollte, da das Gespenst des Rassismus nach wie vor lebendig ist. Das macht Raoul Pecks essayistische Dokumentation, die auf der Berlinale gefeiert wurde und für den Oscar nominiert war, zu einem imposanten Werk, das gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je ist. Diesen Film muss man gesehen haben!

20.02.2024

5

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Kommentare

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shattrath

vor 6 Jahren

Irgendwie hatte ich mehr erwartet. Es war mir zu "belehrend" wie ein Vorposter schon gesagt hatte.


Barbarum

vor 6 Jahren

Mittels der Worte James Baldwins wird eine filmische Brücke geschlagen von Vergangenem zu Gegenwärtigem, um hinzuweisen, auch heute noch das eigene und das moralische Handeln anderer jeweils schonungslos zu hinterfragen. Das ist verständlicherweise eher belehrend als unterhaltsam, jedoch nach wie vor wichtig.Mehr anzeigen


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