CH.FILM

Almost There Japan, Spanien, Schweiz, Grossbritannien, USA 2016 – 80min.

Filmkritik

Fast angekommen

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Drei Rentner wagen eine Wende in ihrem Leben, suchen neue Perspektiven und Lebensqualitäten. Steve, Drag Queen und Stand-up Comedian, sucht sein Heil im spanischen Rentnerparadies Benidorm. Bob bricht mit seinem Wohnmobil in die kalifornische Wüste auf, und der pensionierte Yamada gewinnt der Aufgabe als Kinderbuch-Vorleser neue Lebensqualitäten ab. Die Zürcherin Jacqueline Zünd schuf einen umsichtigen Dokumentarfilm über das Alter und darüber hinaus.

Wüste, Weite, Ödnis – der Amerikaner Bob hat seine bisherige Heimstätte gegen ein Wohnmobil eingetauscht und kurvt durch unwirtliche Landschaften Kaliforniens. Auf der Suche (nach was?), immer der Strasse, der eigenen Laune und Stimmung nach? Es scheint, als versuchte der pensionierte Robert «Bob» Pearson Bewegung in den Stillstand seines Lebens zu bringen. Lockere zufällige Begegnungen und dann ein Rendezvous – flüchtig oder doch nicht? Eine Frau wie ein Mann: Als Revuestar hochgetakelt, schleift die englische Drag Queen Steve im Morgengrauen einen Koffer hinter sich her – von englischen Seebädern wie Brighton nach Benidorm an die Costa Brava. In diesem Endzeitparadies für Rentner und andere Oldies sucht Steve Phillips einen Neuanfang im Herbst seines Lebens. Es genügt ihm, ein Mann mit Familie in England, als Witznummer und Zotenerzähler im Nachtklub aufzutreten. Er findet offensichtlich seinen Frieden in Benidorm – mit sich und seinem vierbeinigen Begleiter. Der Japaner Genji Yamada hat sein Lebtag für seine Firma in Tokio gelebt, seine Frau und Kinder fast nicht richtig wahrgenommen und nun? Er hat Zeit, muss neue Lebensinhalte finden. Kollegen machen ihn auf einen Job aufmerksam, fern seines bisherigen Alltags – als Vorleser von Kinderbüchern für Kinder. Er findet Gefallen und die Kinder an ihm, und er findet das Lächeln zurück, wie seine Frau erstaunt bemerkt.

Das Ende des Berufslebens ist bei Männern meistens einschneidend, krass, endgültig. Die Zürcher Filmautorin Jacqueline Zünd hat lange nach ihren Protagonisten gesucht oder suchen lassen, etwa in Japan. Alte Männer, erwähnt sie, werden in Japan «nasses Laub» genannt, Laub, das in Pfützen gefallen ist, klebt, vermodert. Und so einen wollte sie und hat ihn in Yamada gefunden. Und dann positive Seiten entdeckt. Ihr Dokumentarfilm «Almost There» ist kein Zufallsprodukt, in gewissen Momenten wie alle Filme inszeniert, aber deswegen nichts weniger wahr und wirklich. Dass Schriftstellerin Sibylle Berg einige Texte beigetragen hat und vortragen lässt, fällt nicht weiter auf und ist auch nur eine Nebenbemerkung wert. Ihr Film, der in den amerikanischen Sequenzen an Wim Wenders («Paris, Texas») erinnert, geht sinnierend Fragen nach Einsamkeit, nach Lebenssinn im Alter, also nach einem gelebten Leben, nach. Es sind melancholische Momente, poetisch angehauchte Bilder (Kamera: Nikolai von Graevenitz), an denen wir teilnehmen – sinnstiftende und hoffnungsvolle.

02.08.2017

4

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Kommentare

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lobo77

vor 6 Jahren

Es passiert fast nichts, und ist trotzdem spannend. Für junge Leute vielleicht nicht, sicher aber für einen, der dem Älterwerden auch entgegenblickt.


hergie

vor 6 Jahren

Ich hab mir den Besuch dieses Films zu meinem 59. Geburtstag gewünscht. Für einen Mann, der sich mit dem Älterwerden befassen muss, eine sehr sinnvolle Investition. Denn die drei Helden dieses Dokumentar-Films werden nicht durch den Kakao gezogen, obwohl sie weiss Gott keine Supermänner sind. Sie werden ernstgenommen, und das ist schön.Mehr anzeigen


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