Mountains May Depart China, Frankreich, Japan 2015 – 131min.

Filmkritik

Keine Zukunft ohne Vergangenheit

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

China zwischen gestern und morgen: Regisseur Jia Zhangke schildert auf drei Zeitebenen – 1999, 2014 und 2025 – wie eine Frau, den falschen Weg (Mann) wählt und wie ihr der Sohn abhandenkommt. Ein herbes Melodrama mit kritischem Blick.

Fenyang, eine schmutzige Kohlestadt mit rund 400'000 Einwohnern in Zentralchina um 1999. Ein Bergbaugebiet. Hier malocht Liangzi (Jin Dong Liang) als Minenarbeiter, der in die schöne Tao (Tao Zhao) verliebt ist und sie in ihn. Aber da ist auch noch der ehrgeizige Zhang Jinsheng (Yi Zhang), ein Investor der neuen jungen Generation, der ebenfalls um Tao buhlt – und gewinnt. Sie setzt auf den Jungkapitalisten und eine prosperierende Zukunft – China boomt. Nach 14 Jahren ist ihr Traum zerplatzt: Sie lebt getrennt von ihrem reichen Mann und Sohn, dem man sinnigerweise den Namen Dollar (Zijian Dong) gegeben hat. Vater und Sohn, die einander nicht verstehen, führen 2025 ein luxuriöses Leben in Australien. Taos einstiger Geliebter Liangzi wurde Wanderarbeiter, hat sich mit Kohlenstaub die Lunge ruiniert und leidet an Krebs. Seine Frau bittet Tao um Hilfe. Sie finanziert eine Behandlung. Am Ende kehrt Tao zu ihren Ursprüngen, ihren Wurzeln und ihrer Heimat zurück.

Der reiche Zhang und sein Dollar-Sohn haben ihre Wurzeln, ihre Identität verloren. Dollar kann nicht einmal chinesisch und hat quasi keine Erinnerungen mehr an seine Mutter. Erst eine Lehrerin und Dolmetscherin (Sylvia Chang), mit der er ein Verhältnis eingeht, weckt beim Orientierungslosen das Bedürfnis, auf seine Vergangenheit zu blicken.

Der Fortschritt, auch Reichtum, zeigt Jia Zhangke (Regie, Buch) in seinem weitumspannenden Melodrama, kosten Opfer, nötigen Verluste. Keiner der drei Protagonisten plus Sohn finden ihr Glück, sie haben die Verbindung zu ihren Wurzeln, zur Heimat verloren hat. Diese bittere, herbe Bilanz zieht Zhangke in seinem Liebesdrama, das gleichzeitig ein kritisches Spiegelbild der chinesischen Entwicklung zeichnet. Der Boom zerrt an den Menschen – an Gewinnern, die ihre Identität, ihre Wurzeln verlieren, erst recht an den Verlieren (Arbeitern), die physisch leiden. Dabei klingt der Song der Pet Shop Boys «Go West» (anfangs und am Ende) fast schon zynisch. Der Traum vom Westen endet harzig, verlustreich und in Heimatlosigkeit. Besitz wird gegen Gefühle und zwischenmenschliche Bindung eingetauscht. Das Epos über zwei Stunden verliert im letzten Drittel etwas an Realitätskraft und mutiert zum Melodrama, überzeugt aber insgesamt, auch dank der grossartigen Schauspielerin Tao Zhao als Tao, der Frau des Regisseurs.

19.02.2024

5

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