Dheepan Frankreich 2015 – 109min.

Filmkritik

Dheepan

Patrick Heidmann
Filmkritik: Patrick Heidmann

Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, dass Jacques Audiard einmal die Goldene Palme in Cannes gewinnt. Wenige französische Filmemacher überzeugten in den vergangenen zehn Jahren so durchgängig und konstant, mit De battre mon coeur s’est arreté, Un prophète oder De rouille et d’os, kraftvollem Kino also, wie es nicht nur in der Grande Nation eine Ausnahme ist. Und doch ist sein neuer Film Dheepan – und damit auch dessen Gewinn an der Croisette im Mai 2015 – eine echte Überraschung.

Im Zentrum des Dramas stehen neben dem Titel gebenden ehemaligen tamilischen Rebellenkämpfer Dheepan (Antonythasan Jesuthasan, seines Zeichens selbst ein Ex-Krieger, nun Schriftsteller und Gelegenheitsschauspieler) die junge Yalini (Kalieaswari Srinivasan) und das neunjährige Mädchen Illayaal (Claudine Vinasithamby). Die drei geben sich als Familie aus, um mit Pässen vom Schwarzmarkt von Sri Lanka nach Frankreich zu gelangen. Die Flucht ist erfolgreich, doch kann man über den Beginn des neuen Lebens für diese drei sich vollkommen fremden Menschen nicht unbedingt das gleiche behaupten. Nach mühsamen Anfängen in einer Unterkunft für Asylbewerber mitten in Paris wird die nicht ganz freiwillige Wahlfamilie in eine trostlose Wohnsiedlung am Stadtrand umgesiedelt, wo Dheepan eine Hausmeisterstelle bekommt, Yalini als Haushälterin bei einem pflegebedürftigen Alten anfängt und Illayaal die Schule besucht. Fast stellt sich eine Art geregelter Alltag ein, doch durch die Drogengangs vor der Haustür halten Gewalt und Gefahr wieder Einzug in ihr Leben, und auch sonst lassen sich die alten Kriegstraumata nur schwerlich unterdrücken.

Anders als seine Vorgänger ist Audiards neuer Film nicht von Beginn ein Schlag in die Magengrube, der den Zuschauer fast von seinem Sitz reißt. Stattdessen lässt der Regisseur sich für seine Einwanderungsgeschichte viel Zeit, setzt auf Realismus sowie nuancierte Leistungen seiner famosen Laiendarsteller und blickt sehr genau und präzise auch auf die kleinen Details der Trostlosigkeit. Doch aus dieser Ruhe und Ernsthaftigkeit entwickelt der Regisseur einen beachtlichen Sog, zumal gerade der Verzicht auf allzu viel Inszenierung und Wow-Momente überraschen und das bewusste Vermeiden etlicher aus ähnlichen Geschichten bekannten Klischees überzeugt.

Doch unter der Oberfläche brodeln die Leidenschaft und Wuchtigkeit Audiards genauso spürbar weiter wie die Dämonen, vor denen seine Protagonisten doch eigentlich geflüchtet sind. Und so entlädt sich die gesamte Düsternis zum Finale geradezu explosionsartig. Dass Dheepan diese unerwartete, fast ans Exploitation-Genre erinnernde Wendung nimmt, hat in Cannes nicht jedem gefallen, ganz zu schweigen von dem unerwartet zarten Schlussbild, dass der Regisseur den Figuren gönnt. Doch gerade weil dieser Wechsel der Tonart mit allen Konventionen bricht, die das Kino sonst im Umgang mit Immigranten an den Tag legt, entfaltet er seine volle, durch und durch bemerkenswerte Wirkung.

14.04.2024

5

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Kommentare

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saschaocsenaz

vor 8 Jahren

Es geht eben nicht um Action, auch wenn die vor dem Ende des Films eine wichtige Rolle spielt. Dieses kontrakarierende Ende sagt uns wohl vordergründig, dass hinter jedem unscheinbaren Taxifahrer in London oder sonstwo eine gewaltige Geschichte stecken kann. Ein stereotypes Ende nach Holywood-Manier wäre billig und kontraproduktiv. Es geht mämlich um Menschen auf der Gosse unserer Realität, und es geht in dem ganzen Film in erster Linie um die düsteren Lebensverhältnisse in den Ghettos der europäischen Welt als unsere Antwort auf dieses Elend. Es ist diese Kultur der Gewalt und Trostlosigkeit, in der Radikalisierung und Terrorismus ihre Nahrung finden. Ein sehr guter Film. Er erzählt seine Geschichte außerordentlich gekonnt.Mehr anzeigen


caravaggio

vor 8 Jahren

Dheepan gewann nicht zu unrecht die Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes.
Jacques Audiard hat mit viel Feingefühl wieder einen äusserst intensiver Film kreiert, der den Betrachter mitten in den sozialen und kriminellen Brennpunkt einer Wohnsiedlung im französischen Banlieus mitnimmt. Der Schluss erinnert etwas gar an actionreiche Clint-Eastwood-Filme. Dennoch ist es ein aussergewöhnlicher Film, der einen hautnah Schicksal und Alltag einer "Flüchlingsfamilie" miterleben lässt.Mehr anzeigen


thiszemp

vor 8 Jahren

Der Film ist sehr gut, bis fast zum Ende. Das Ende ist dann aber dermassen heftig, dass es einen sehr schlechten Beigeschmack hinterlässt. Gar nichts für nicht völlig abgebrühte Gemüter. Ich bereue den Kinobesuch.


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