Whiplash USA 2014 – 107min.

Filmkritik

Ein 106-minütiges Schlagzeugsolo

Adrian Nicca
Filmkritik: Adrian Nicca

Der vielgerühmte Gewinner des Publikumspreises und des Grossen Preises der Jury am Sundance Film Festival überzeugt mit dem schlagkräftigen Lehrer-Schüler-Duo J.K. Simmons und Miles Teller. Mit Whiplash hat Regisseur Damien Chazelle einen intensiven Musik-Film geschaffen, der einen gleich einem Schlagzeugsolo packt und mit leichtem Tinnitus und einer Herzfrequenz um die 300 BPM wieder ausspuckt.

Der 19-jährige Andrew Neyman (Miles Teller) will Profi-Drummer werden. Dazu immatrikuliert er sich am besten Konservatorium von New York. Andrew hat kaum seinen Proberaum bezogen, als ihn auch schon Terence Fletcher (J.K. Simmons), ein gefürchteter, tyrannischer Dozent entdeckt. Mit dieser ersten Begegnung beginnt der Kampf um die Erfüllung eines Traums zwischen den beiden Protagonisten, der sich über die ganze Dauer des Erstlings von Regisseur Damien Chazelle hinzieht.

Nach ohrenverachtenden Abba-Musicals, Westside-Story-Retorten und schluddrig hingezimmerten Musiker-Biopics kommt mit Whiplash ein intensiver Musik-Film daher, der den Zuschauer physisch wie psychisch kaum unberührt lässt. Regisseur Damien Chazelle fand für seinen Film zunächst keine Geldgeber. Er dachte aber nicht ans Aufgeben, sondern drehte vorerst nur einen Kurzfilm, den er am Sundance Film Festival 2013 einreichte. Prompt gewann er mit seinem Werk den Preis für den besten Kurzfilm und kurz darauf rollte der Rubel für Whiplash.

Auch Andrew denkt nicht ans Aufgeben. Er will der beste Schlagzeuger werden, Top of the List, King of the Hill. New York ist dafür natürlich genau der richtige Ort. Schon kurz nach Semesterbeginn spielt sich Andrew durch unermüdliches Üben in die Studioband des Schaffer Conservatory hoch. Auf dem Weg dorthin sticht er seine Konkurrenz durch Talent und Durchhaltewillen aus. Durchhaltewillen – eben diesen sucht und fördert Lehrer Fletcher mit reichlich unorthodoxen Methoden. Einmal gibt er Andrew das Tempo anhand von Ohrfeigen an, ein anderes Mal wirft er mit einem Stuhl nach ihm. Aber vor allem verbal teilt Diktator Fletcher immer wieder gehörig unter der Gürtellinie aus und zwingt seine Schüler in die Knie. Mit seinen grossen Segelohren lauert J.K. Simmons nur so auf den nächsten falschen Ton und den nächsten Tempofehler nur um darauf vulkanartig auszubrechen und den oder die Sünderin aufs Gröbste zu demütigen, aber eben auch um das Beste aus seinen Schülerinnen und Schülern herauszuholen.

Wir alle begegnen in unserem Leben verschiedenen Lehrern und betrachten deren Methoden kritisch. In Whiplash verkörpert J.K. Simmons den erbarmungslosen Forderer und Förderer, der mittels seiner Schüler erreichen will, was ihm verwehrt blieb: Ein Monument für die Nachwelt zu errichten, unvergesslich, ja unsterblich zu werden. Andrew will genau das und ist bereit, für sein Ziel auf Ablenkendes wie eine Freundin, ein Privatleben generell, zu verzichten. Zwischenmenschliche Beziehungen sind in den Augen Andrews Zeitverschwendung, was er sein Umfeld inklusive Familie auch deutlich spüren lässt.

Die Charaktere von Teller und Simmons provozieren, ekeln und faszinieren zugleich, wenngleich Teller Simmons das Wasser nicht ganz reichen kann und streckenweise neben dem Glatzkopf verblasst. Spitzfindigkeiten wie ein Paradiddle, der keiner ist, der klischierte "American Dream", die fehlende menschliche Ambivalenz bei Fletcher und der alleinige Fokus auf das Schlagzeug, respektive die Schlagzeuger, tun dem Filmvergnügen keinen Abbruch. Was Regisseur Chazelle mit Sicherheit in keiner Kritik lesen wollte, sind die beiden Worte: "Good Job".

Trommelwirbel. Mit J.K. Simmons in der Rolle seines Lebens als Drill Sergeant Fletcher und einer unvorhersehbaren Geschichte, die das Publikum wie auf Nadeln sitzen lässt, macht sich Whiplash zum klaren Anwärter auf (mindestens) einen Oscar im Jahre 2015. Whiplash kann mit Geisselung, Peitschenhieb oder aber auch Schleudertrauma übersetzt werden. Die Peitsche ohne Zuckerbrot schwingt J.K. Simmons unerbittlich, während Miles Teller sich geisselt bis das Blut spritzt. Dieses Duo hinterlässt den Zuschauer mit einem Schleudertrauma, das noch lange nach dem Fall des Vorhangs spürbar bleibt. Tusch.

19.02.2024

5

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Kommentare

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dulik

vor 5 Jahren

Ein absolutes Meisterwerk, welches nicht nur schauspielerisch, sondern auch musikalisch hochstehend ist. Sowohl J.K. Simmons als unbarmherziger und äusserst strenger Musiklehrer, wie auch Miles Teller, als dessen aufstrebender Schüler am Schlagzeug liefern hier grandiose Leistungen ab. Und obwohl beide Hauptfiguren nicht gerade sympathische Charaktereigenschaften haben, leidet man stets mit diesen mit, weil diese eben gerade deswegen sehr glaubwürdig rüberkommen. "Whiplash" zeigt eindrücklich, was es bedeutet, für seinen Traum bis ans Äusserste zu gehen und welch grosse Opfer dies mit sich bringen kann. Am Schluss wird man dann noch mit einem Finale der Superlative belohnt, welches von Trauer bis hin zu purer Freude und Gänsehaut alles zu bieten hat. Ein Film, den man gesehen haben muss.
10/10Mehr anzeigen


Janissli

vor 6 Jahren

Krasses Psychospiel, das einem in den Bann zieht.


cffan

vor 7 Jahren

Gestern im Fernseher gesehen sprachlos top!


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