CH.FILM

ThuleTuvalu Grönland, Schweiz, Tuvalu 2013 – 96min.

Filmkritik

Klima- und Lebenswandel

Filmkritik: Eduard Ulrich

Die Idee ist einfach brillant: Thule in Grönland und Tuvalu in der Südsee werden als Brennpunkte der Klimaerwärmung gegenübergestellt. In Thule schmilzt das Eis, um Tuvalu steigt der Meeresspiegel, beides hat gravierende Folgen für Lebensbedingungen und -weisen. Matthias von Gunten lässt einige wenige der Betroffenen ausführlich zu Wort kommen und zeichnet so ein klares Bild der Konsequenzen. Leider bleiben einige Fragen offen und - besonders bedauerlich - auch bestimmte kritische Fragen ungestellt.

Die Idee leuchtet unmittelbar ein: An zwei Orten gegensätzlicher Natur im Brennpunkt des Klimawandels dürfen einige handverlesene Betroffene berichten, wie sich ihr Leben verändert. Thule am Polarkreis in Grönland und eine Insel des Staates Tuvalu, von dem die meisten wohl nur seine Internet-Domäne kennen. In Thule schmilzt das Eis, um Tuvalu steigt das Wasser.

Matthias von Gunten hat viel Zeit in die Reisen an beide Orte investiert, aber Bilder von der Zeit vor dem Beginn der Veränderungen konnte auch er nicht herbeizaubern. So bleiben ihm die Erzählungen seiner Gesprächspartner und die Bilder von den aktuellen Bedingungen. Die sind ohnehin extrem, und so beeindruckt die handwerkliche Qualität der Sequenzen: Ausfahrten mit Booten, Fischfang, Jagd, Ernte und immer wieder Gespräche mit den Menschen, die ganz verschiedene Haltungen gegenüber ihrem existenziellen Problem einnehmen. Am einfachsten hat und macht es sich ein Greis in Tuvalu, der bemerkt, dass er sterbe, bevor die Insel untergehe.

Trotz der gelungenen Darstellung und der offenen Gespräche irritiert uns von Guntens Werk, weil es den doch leider praktisch ungebildeten und miserabel informierten Menschen viel Zeit lässt, ihre meist extrem banalen Gedanken auszubreiten, ohne auch nur eine kritische Rückfrage zu stellen. Wer etwas genauer hinsieht, kann die Mär von den noch "ursprünglich" Lebenden leicht entlarven: Die Grönländer benutzen Präzisionsgewehre mit Zielfernrohr, Motorschlitten und viele Industrieprodukte. So können sie bequem und risikolos wehr- und ahnungslose Tiere abschlachten, die dabei einen schrecklichen Todeskampf erleiden.

Auch in der Südsee lässt man sich gern per Schiff beliefern, nutzt Motoren etc., entblödet sich aber nicht, von den Industriestaaten unverfroren Hilfe einzufordern. Diese ehemals primitiven Randzivilisationen verstehen nicht, dass sie längst ausgestorben wären, wenn sie nicht reich beschenkt würden. Von Gunten gelingt es leider auch nicht zu zeigen, was diese anachronistischen und antiökologischen Lebensweisen erhaltenswert macht.

19.02.2024

2

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Kommentare

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Gelöschter Nutzer

vor 9 Jahren

In dem von Gunten die Betroffenen und ihr Erleben des Untergangs ihrer Lebenswelt ins Zentrum stellt macht er das einzig richtige. Und dies erst noch handwerklich und ästhetisch perfekt inszeniert. Das einzig 'Primitive' hier ist Eduard Ulrichs Filmkritik.


BeatRohrer

vor 9 Jahren

Eine dümmere, ignorantere und arrogantere Filmkritik ist mir noch nicht begegnet, lieber Eduard Ulrich. Sind es doch mit grosser Wahrscheinlichkeit die tollen "Geschenke" und Errungenschaften der "richtigen(?!) " Zivilisationen, die das Eis schmelzen und das Wasser steigen lassen und damit die Lebensgrundlage dieser "Randzivilisationen(?!) zerstören? Schauen Sie sich den Film doch noch einmal an und achten Sie auf die Würde, mit der diese Urvölker ihr Schicksal tragen... Das fordert meinen grössten Respekt, und keine postkolonialistische Schnodrigkeit!
Beat RohrerMehr anzeigen


moviekenner

vor 9 Jahren

Ein überragender Dokumentarfilm, gelobt von Variety, NZZ, Tages-Anzeiger, St. Galler Tagblatt, Michael Sennhausers Filmblog und vielen mehr!


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