National Gallery Frankreich, Grossbritannien, USA 2014 – 174min.

Filmkritik

Geschichten aus der Museums-Welt

Filmkritik: Andrea Wildt

Frederick Wiseman porträtiert in seinem 39. Dokumentarfilm erneut eine öffentliche Institution. Diesmal beobachtet er drei Stunden lang den Alltag der Nationalgalerie in London. Was nach trockener Langeweile tönt, überrascht mit inspirierenden Einblicken in die Menschheitsgeschichte und regen Diskussionen über ihr Erbe.

Nach der Comédie-Francaise, der Pariser Oper und im gewissen Sinne auch das Varieté "Crazy Horse" wendet sich Frederick Wiseman in seinem aktuellen Dokumentarfilm mit der National Gallery erneut einer öffentliche Institution zu, die ein nationales Kunsterbe aufbewahrt und an die heutige Gesellschaft vermittelt. Diesmal handelt es sich jedoch mit den Gemälden vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert auf den ersten Blick um weniger lebendige Künste als der Tanz oder das Schauspiel: Seit Ewigkeiten hängen diese an Wänden und präsentieren den immer gleichen Anblick. Dass ihre Momentaufnahmen und Geschichten jedoch bis heute höchst lebendig sind, beweist National Gallery überaus anschaulich.

Seit 1967 beschert der ehemalige Jurastudent Frederick Wiseman sein Publikum fast jedes Jahr mit einem neuen Dokumentarfilm. Bis heute ist er dabei seinem Stil, dem sogenannten Direct Cinema treu geblieben: kein Eingreifen in das Geschehenen, d.h. keine Interviews, keine Mise-en-Scene, nur Direktton, ohne zusätzliche Musik. Diese nüchterne Darstellungsweise passt in National Gallery ausgesprochen gut zu seinem Sujet: Auch die Gemälde präsentieren dort ein ewiges Standbild, das nur im Kontext und im Dialog mit den Zuschauern und den anderen Bildern im Raum Veränderung erfährt. So besteht die grosse Leistung von Wiseman auch darin, die gefilmten Episoden des Museumsbetriebs anzuordnen, sie in den drei Stunden miteinander in Beziehung zu setzen.

Dazu entwickelt er aus den Besuchern, dem Personal und den Kunstwerken ein wahres Spiegelkabinett von Blicken und Gegenblicken. Ein beständiges Hin und Her aus Ansichten und Aussichten auf die Bilder erwecken die scheinbar tote Materie der Malerei zum Leben. Sei es bei öffentlichen Bildbesprechungen, dem Restaurieren, den zahlreichen Zeichenkursen, der Ausstellungseinrichtung oder der Tanzperformance: Immer wieder überraschen die einzelnen Episoden mit wunderlichen Geschichten, erstaunlichen Interpretationen oder Entdeckungen zu den Gemälden.

Trotz einzelnen Einblicken hinter die Fassade in Besprechungen über Organisation und Finanzen des Museums, steht doch vor allem diese dynamische Beziehung zu den uralten Bildern im Mittelpunkt des Films, die ohne den Betrachter dem Tode geweiht wären. Dass der Film dafür drei Stunden Zeit braucht, sei ihm angesichts seines Reichtums verziehen.

19.02.2024

4

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Kommentare

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placard

vor 9 Jahren

National Gallery ist vordergründig ein gelungener Film. Man muss sich aber definitiv darauf einlassen wollen. Und das ist gewiss nicht jedermanns Sache. Sogar mir als Kunsthistoriker wurde irgendwann zu langweilig beim Zuhören. Es wäre interessanter gewesen mehr hinter die Kulissen des Mega-Konzerns (was die National Gallery zweifellos ist) zu blicken. Das gabs zwar auch teilweise zu sehen, nur leider für meinen Geschmack viel zu wenig. Die Bilder werden nicht lebendig durch diese Geschichtchen und Anekdoten, die Wiseman uns da liefert. Die alten Schinken, salopp ausgedrückt, werden vielmehr 'nur' bewundert. Und das ist zwar auch was in unserer digitalisierten Welt und gar höchst erstaunlich, aber es ist halt nicht das, was wer wirklich mit dem Film sagen wollte, glaube ich. Kurzum: Es genügt für eine Stunde, den Film so aufzugleisen, so monumental, was vor allem auch die Länge von 174 Minuten betrifft, für weitere zwei Stunden fehlte mir dann doch etwas die Geduld. Es gibt einen weiteren Museums-Film, der Das grosse Museum heisst, eine Dokumentation über das Kunsthistorische Museum Wien, wo man nur die teils fragwürdigen Tätigkeiten des Museumspersonal zu sehen bekommt, wie etwa Motten zählen in den Lüftungsschächten oder was auch immer. Das hatte was, das war fresh und super österreichisch. Bei National Gallery gehts für meinen Geschmack auch viel zu sehr um national proudness. Englishness finde ich normalerweise extrem toll, nur hier tut das dem Streifen keinen Dienst. Leider.Mehr anzeigen


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