Vergiss mein nicht Deutschland 2012 – 89min.

Filmkritik

Reise gegen das Vergessen

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

David Sieveking nimmt sich ein Timeout für seine Mutter, die an Demenz erkrankt ist. Er zeichnet dabei sehr sensibel und innig nicht nur ein Krankheitsbild, sondern beschreibt eine Familien- und Liebesgeschichte. Am Filmfestival Locarno erhielt er den Preis der Filmkritikerwoche.

Er kehrt aus Berlin heim nach Hessen: David Sieveking (35). Das hat einen Grund: Sievekings damals 73-jährige Mutter ist vor vier Jahren an Alzheimer erkrankt. Ihr Mann Malte, pensionierter Mathematik-Professor, hatte noch Träume, wollte aktiv den Ruhestand geniessen. Jetzt kümmert er sich uneigennützig um seine Frau Gretel, hegt sie, ermuntert sie und stösst an seine Grenzen.

Sohn Sieveking (David Wants to Fly) hat sich entschlossen, für ein paar Wochen seiner Mutter nahe zu sein, sie zu umsorgen, und beschliesst, dies mit einem Filmteam (Kamera: Adrian Stähli) festzuhalten. Seine demenzkranke Mutter beginnt sich an die Fremden zu gewöhnen, akzeptiert sie und übersieht sie im Verlauf ihrer fortschreitenden Verwirrtheit. Doch diese Aktivitäten um sie herum führen zeitweise zu Verbesserungen, Zeichen neuen Lebensmutes und lichten Momenten. Trotz Gedächtnisschwächen und phasenweiser Orientierungslosigkeit bleibt Gretel heiter, gelassen, ergeben.

Aus Sicht des Sohnes, der gleichzeitig Pfleger, Begleiter und Beobachter ist, wird der Zuschauer Zeuge einer späten intimen Annäherung und eines Zerfallprozesses. "Schritt für Schritt zieht sich Gretel aus unserer Welt zurück", sagt David. Ihre Worte stimmen immer weniger mit der Wirklichkeit überein, sie verwechselt Sohn mit Ehemann und ähnliches. Sie vergisst, erkennt Menschen und Räumlichkeiten nicht immer.

Ungewollt, weil nicht geplant, legt der Filmer Schicht um Schicht das Verhältnis seiner Eltern offen, ihre schwankende, wechselhafte Beziehung, ihre Ambitionen und Arrangements. Er beschreibt liebevoll ein Paar, das seit über 40 Jahre verheiratet ist. Gretel und Malte finden am Ende ihrer langen Zweisamkeit zu neuer Liebe. Ein internsiver gemeinsamer Abschied. Gretel starb im Februar 2012.

David Sievekings intime und bewegende Familienchronik besticht durch Offenheit, Spontanität und Zuneigung. Es ist auch ein Dokument der Liebe, der Lebenslust und Erfahrung geworden. Kein Mahnmal der Traurigkeit oder Manifestation einer Demenz-Tragödie, sondern eine Reise gegen das Vergessen, ein Bekenntnis zur Liebe. "Ich fand es faszinierend, wie sensibel und feinfühlig meine Mutter mit ihrer schweren Demenz war. Die Krankheit hatte bei ihr auch etwas Befreiendes, indem meine Mutter auf einmal Gefühle zeigte, die sie früher wohl für sich behalten hätte. Sie verlor ihre Hemmungen, und das konnte mitunter schmerzhaft ehrlich sein."

18.02.2024

4

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Kommentare

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gefuehlsmensch

vor 10 Jahren

super gemacht.


bööö

vor 10 Jahren

hammmmmmer RESPECT


Patrick

vor 10 Jahren

Nachtrag: Die DVD verfügt 120 Min Bonus die sehr wissenswert sind sowie ein 20 ig Seitiges Booklet, daher auf jeden Fall ein DVD-Tip


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