Blau ist eine warme Farbe Belgien, Frankreich, Spanien 2013 – 179min.

Filmkritik

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Cornelis Hähnel
Filmkritik: Cornelis Hähnel

"Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah" heißt ein Erzählband des japanischen Autors Haruki Murakami. Und genauso ergeht es einer 15-Jährigen in Abdellatif Kechiches neuem Film, der in Cannes 2013 die "Goldene Palme" gewann.

Bei einem Stadtbummel sieht Adèle auf der anderen Straßenseite ein Mädchen mit blauen Haaren, im Arm hält sie ihre Freundin. Die schöne Unbekannte geht Adèle nicht mehr aus dem Kopf und eines Abends begegnen sie sich zufällig in einer Bar wieder. Emma, so der Name der geheimnisvollen Blauhaarigen, geht auf die Kunsthochschule und lebt offen lesbisch. Adèle, die bislang nur mit Jungs ausgegangen ist, ist ebenso fasziniert wie irritiert. Doch schon bald kommen die beiden Frauen sich näher und Adèle lernt Glück und Leid der ersten großen Liebe kennen.

La vie d'Adèle wurde bei den Filmfestspielen in Cannes 2013 als bester Film ausgezeichnet, und zum ersten Mal wurde dieser Preis auch ausdrücklich an die beiden Hauptdarstellerinnen verliehen. Verdientermaßen, denn Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos prägen mit ihrem intensiven und grenzenlosen Spiel jede Szene des Films und bauen eine spürbare Nähe zum Zuschauer auf. Zwar ist die Story relativ simpel, aber die beiden Hauptdarstellerinnen machen jeden Moment aufregend. Die Bilder sind dabei von einer unglaublichen physischen Kraft: Kechiche inszeniert seinen Film mit einer Körperlichkeit, die man in dieser Intensität lange nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat. Und er liebt, auch das spürt man deutlich, seine Protagonistinnen. Die Kamera hängt im wahrsten Sinne des Wortes an den Lippen von Adèle, jeder Winkel ihres Körpers wird unmittelbar erkundet.

Eine Intensität, die fast schon obsessiv daherkommt. Es überrascht daher nicht, dass aufgrund Kechiches Hang zum Perfektionismus manche Szenen teilweise eine Woche lang gedreht wurden – sehr zum Unmut der beiden Hauptdarstellerinnen, die beide bekannt gaben, nicht mehr mit ihm drehen zu wollen. Auch die sieben Minuten lange Sexszene, die aufgrund ihrer Freizügigkeit bereits im Vorfeld für viele Diskussionen sorgte, habe man tagelang wiederholen müssen. Allerdings ist gerade diese Szene einer der schwächsten Momente des Films, wird hier doch deutlich, dass zwar eine lesbische Liebesgeschichte erzählt, eine männliche (Wunsch)-Ästhetik nicht gänzlich vermieden wird.

Problematisch ist auch der zweite Teil des Films, der einige Jahre später spielt. Dabei werden immer wieder Zustände lediglich behauptet und nicht erzählt. War der Zuschauer im ersten Teil stets intensiv dabei, wie sich Emotionen oder bestimmte Konstellationen langsam entwickelten, wurde anfangs noch jede Regung auserzählt, werden im zweiten Teil die Probleme einfach vorausgesetzt. Emma hat zu diesem Zeitpunkt ihre blaue Haarfarbe abgelegt und so wie die Wärme der blauen Farbe damit sinnbildlich aus Adèles Leben verschwunden ist, ist auch der Zauber aus dem Film verschwunden. Doch letztlich ist es hier wie in der Liebe: So unschön und quälend auch das Ende sein mag, am Anfang war es etwas ganz Besonderes.

19.07.2016

4

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Kommentare

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Janissli

vor 6 Jahren

Sehr sehr realitätsnah und echt gespielte Liebesgeschichte einer jungen lesbischen Frau. Die Schauspielerische Leistung von Adèle Exarchopoulos war so absolut überzeugend, man könnte meinen man hatte einen sehr intimen Einblick ihr Leben, dass dies alles vor einer Filmcrew gespielt wurde, ist fast unglaublich. Der Film ist mit 178 Minuten etwas zu lang für meinen Geschmack.Mehr anzeigen


dulik

vor 6 Jahren

Ein sehr gelungener Film, der einem von Beginn an in seinen Bann zieht. Die beiden Hauptdarstellerinnen spielen ihre Rolle sehr gut und authentisch. Eindrücklich sind vor allem die Sex-Szenen, die stellenweise fast an Pornografie erinnern.
Da die Handlung aber kaum Spannung aufbaut und mit der Zeit etwas eintönig wirkt, sind die 3 Stunden am Ende dann doch etwas anstrengend.
7.5/10Mehr anzeigen


guenthstefan

vor 8 Jahren

Ein besseres Drehbuch wäre hier von Vorteil gewesen. Die Sexualität steht zu sehr im Vordergrund, während es an echter Zärtlichkeit zwischen den beiden Frauen mangelt. Eigentlich interessante Ansätze, wie z. B. die sozialen Unterschiede der beiden Protagonistinnen werden nicht wirklich differenziert behandelt. Stattdessen arbeitet der Film mit zahlreichen sozialen Klischees. Die Trennung der beiden Frauen gegen Ende des Films überzeugt nicht und wirkt sehr konventionell, da anlässlich der letzten Begegnung deutlich wird, dass sie sich emotional eigentlich noch sehr nahe stehen. Exarchopoulos kann als Lehrerin nicht überzeugen, weil sie für diese Rolle rein äusserlich viel zu jung ist. Seydoux wirkt als ihre ältere Partnerin zu jung und püppchenhaft. Zudem kommt sie zu stark gestylt daher. Insgesamt ein enttäuschender und bei einer Länge von fast drei Stunden langweiliger FilmMehr anzeigen


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