Ida Dänemark, Polen 2014 – 80min.

Filmkritik

Spuren- und Sinnsuche

Rolf Breiner
Filmkritik: Rolf Breiner

Sie ist jung, jüdischer Herkunft und will Nonne werden: Anna, die eigentlich Ida heisst. Pawel Pawlokowski beschreibt in nüchternen Schwarzweissbildern und im Stile eines Andrzej Wajda, wie eine junge Frau ihre Wurzeln und Identität sucht - im Polen der frühen 60er Jahre.

Schnee bedeckt das Land. Irgendwo im Nirgendwo richten Frauen eine Christophorus-Figur auf. Ein schäbiges, vom Zahn der Zeit angenagtes Gebäude beherbergt eine Handvoll Nonnen und Novizinnen. Eine von ihnen ist Anna (Agata Trzebuchowska), sie ist auf der Schwelle, Nonne zu werden. und hier in den geschützten Mauern aufgewachsen. Sie weiss nichts übers Leben draussen und ihre Herkunft.

Sozusagen als Bewährungsprobe wird ihr von der Äbtissin auferlegt, ihre letzte Verwandte aufzusuchen. Tante Wanda (Agata Kulesza), eine Kettenraucherin und Alkoholikerin, hat eine ziemliche Karriere im Justizapparat hinter sich und sich längst aufgegeben. Sie hangelt desillusioniert und sinnentleert durchs Leben, flüchtet sich in Zynismus und Vergnügen. Und diese Wanda offenbart Anna, dass sie eigentlich Ida heisst und jüdischer Abstammung ist.

Wer waren die Eltern, was ist aus ihnen geworden? Und so zuckelt das ungleiche Pärchen in einem Wartburg los, um Licht in die dunkle Vergangenheit zu bringen. In Idas/Annas Heimatdorf stösst man zuerst auf eine Mauer des Schweigens. Erst auf rigorosen Druck der vom Politapparat gestählten Wanda klopfen sie Zeitzeugen weich und erfahren, dass die jüdischen Eltern während der Nazi-Besatzungszeit verraten und getötet wurden. Schliesslich führt sie ein Bauer an die Stelle im Wald, an der sie verscharrt wurden.

Ida/Anna weiss nun um ihre Wurzeln. Die Trauer ist kurz, Rachegefühle liegen ihr fern. Fast beiläufig beschreibt Filmautor Pawel Pawlikowski, der zusammen mit Rebecca Lenkiewicz das Drehbuch schrieb, wie eine 18-jährige am Leben schnuppert, sich ein bisschen in einen Saxophonisten (Dawid Ogrodnik) verliebt – und sich abkehrt.

Geradezu spartanisch sind die Einstellungen, verstärkt durch die schwarzweissen Bilder, und die Musik, die nicht zur Untermalung oder als purer Soundtrack dient, sondern als reale Musik funktioniert – auf Platte, im Radio, im Tanzschuppen. Und die ist dem Regisseur ebenso wichtig wie inhaltliche Reduktion und das Bestreben, Abstand vom üblichen polnischen Kino zu nehmen. Mit seiner unterschwelligen Intensität und Ungeschminktheit wirft der Film Fragen nach Lebenssinn und Identität auf – in einer Zeit, als Polen sich wie Ida etwas orientierungslos in einem Nirgendwo befindet. Insofern auch ein starkes Zeitstück.

15.04.2014

4

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Kommentare

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8martin

vor 6 Monaten

Die Ausgangssituation könnte unterschiedlicher nicht sein: die Novizin Ida (Agata Trzebuchowska) und ihre Tante Wanda (Agata Kulesza), eine versoffene Hure, machen sich auf, um das Grab von Idas Eltern zu finden. In stringenten s/w Bildern erzählt Regisseur Paweł Pawlikowski dieses Roadmovie, das in den 60er Jahren in Polen spielt. Lange Einstellungen und längere wortlose ruhige Passagen brennen den Film in die Seele der Zuschauer. Vor allem gegen Ende, wenn die Dialoge immer seltener werden, bevor sie völlig verschwinden, graben sich die Bilder besonders tief in die Erinnerung.
Hinzukommt dass im Verlauf des Films immer neue brisante Details über die beiden Frauen auftauchen. Tante Wanda hat eine stalinistische Vergangenheit als Richterin und Ida heißt eigentlich Anna und ist Jüdin.
Es ist letztlich auch eine Auseinandersetzung von Polens Umgang mit seiner Geschichte, der nicht jedem gefällt. Hierbei spielt der Glaube ja auch eine wichtige Rolle.
Vor allem die finale Entscheidung der beiden Frauen überrascht und beeindruckt zutiefst. Wandas nicht vorhersehbarer Abgang mit Klassik unterlegt wird durch ein Staatsbegräbnis der Partei ironisch überhöht und Ida/Anna versucht vorübergehend Wandas Lebensgewohnheiten nachzuvollziehen. Sie schlüpft buchstäblich in Wandas Schuhe und Kleider. So kann sie später einmal sagen, sie weiß, vorauf sie verzichtet hat.
Agata Trzebuchowska gibt dem Film ein Gesicht: stets den Blick gesenkt und wortkarg. Diese Newcomerin wirkt in ihrer madonnenhaften Schönheit unheimlich authentisch. Der Auslands Oscar ist wirklich verdient.
Ein Frauenfilm mit emanzipatorischen Aspekten der auch Verantwortung für die Vergangenheit übernimmt. Ein seltenes Juwel.Mehr anzeigen


dulik

vor 4 Jahren

Ein ergreifendes Schwarz-Weiss-Drama, welches die Geschichte über die junge "Ida" erzählt, die im Kloster aufgewachsen ist und kurz vor ihrer Volljährigkeit ihren Wurzeln auf die Spur geht. Der Film schafft es mit seiner ruhigen Art und mit wenigen Worten einem in eine andere Sphäre zu versetzen. Die Handlung selbst ist zwar eher ereignisarm und wenig interessant, diese steht aber auch nicht im Vordergrund. Den Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2015 gab es völlig zu Recht.
7.5/10Mehr anzeigen


Barbarum

vor 7 Jahren

Wunderschön in Schwarz und Weiss gefilmtes Drama, das zum Denken anregt und mit knapp über 80 Minuten gerade kurz genug ist, dass es nicht zäh wird.


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