Wymyk - Courage Polen 2011 – 85min.

Filmkritik

Bruderzwist

Filmkritik: Cindy Hertach

Ein Mann wird in einem Zug brutal von einer Gruppe Jugendlicher verprügelt - sein Bruder greift aus Angst nicht ein. In seinem zweiten Spielfilm konfrontiert der polnisch-schweizerische Regisseur Greg Zgliński (Tout un hiver sans feu) das Publikum mit den Themen Feigheit, Schuld und Sühne.

Alfred und Jurek sind Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine, Alfred (Robert Wieckiewicz), ist ein extrovertierter Draufgänger mit einer Schwäche für Waffen und schnelle Autos, sein Bruder Jurek (Lukasz Simlat) hingegen ein besonnener und rücksichtsvoller Familienmensch. Gemeinsam betreibt das zerstrittene Brüderpaar eine Internet-Firma in einem polnischen Vorort. Ihr anhaltender Konkurrenzkampf belastet Zusammenarbeit und Familienleben.

Eines Tages werden die beiden während einer Zugfahrt Zeuge, wie Jugendliche eine Frau attackieren. Während Jurek ohne zögern eingreift, steht der sonst tollkühne Alfred verängstigt daneben und muss aus nächster Nähe miterleben, wie sein Bruder lebensgefährlich verletzt wird. Vor Familie und Polizei verschweigt Alfred seine Passivität, doch als kurz darauf ein Handy-Video des Zwischenfalls im Internet kursiert, muss er vor sich selbst und seiner Umwelt Rechenschaft ablegen.

Greg Zgliński zählt zu den begabtesten Schülern des verstorbenen Regisseurs Krzysztof Kieślowski. In Warschau geboren, verbrachte Zgliński seine Kindheit und Jugend in Aarau, bevor er ein Studium an der legendären Filmhochschule im polnischen Łódź absolvierte und für sein Erstlingswerk “Tout un hiver sans feu“ 2004 mit dem Goldenen Löwen und dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Die in Zglińskis zweitem Spielfilm Courage aufgeworfene Frage nach der menschlichen Moral, verweist auf den anhaltenden Einfluss seines früheren Lehrers Kieślowski. Mit bemerkenswerter Genauigkeit und ohne dabei in unnötige Akribie zu fallen, verleiht Zgliński seinen Figuren Tiefe und innere Zerrissenheit und schafft damit eine glaubwürdige psychologische Versuchsandordnung für seine Analyse. Beeindruckend vor allem Robert Wieckiewicz in der Rolle des ungehobelten Alfreds, hinter dessen übertriebenem Männlichkeitsgebaren zunehmend Hilflosigkeit und kindliche Schwäche sichtbar wird.

Geprägt von einer lakonischen Erzählweise, spitzt sich das Drama der beiden Brüder unaufhaltsam zu und erreicht – nachdem Alfred seinen Bruder im Stich gelassen hat – in einer verstörenden und moralisch komplexen Situation einen vorläufigen Höhepunkt. Für das Wesen der Feigheit und den damit verbundenen Schuldgefühlen hat sich Zgliński nach eigenen Angaben in dieser Geschichte am meisten interessiert. Welche Schuld man bei unterlassener Hilfeleistung auf sich lädt und ob man dadurch zum Mittäter wird, sind weitere Moralfragen, die der packende Film den Zuschauern zur Diskussion stellt – ohne dabei auch nur annähernd eine Antwort in Aussicht zustellen.

22.01.2013

5

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Kommentare

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patrick68

vor 11 Jahren

Starker Film mit überzeugenden Schauspielern, allen voran Robert Wię ckiewicz (bald als Lech Walensa im Film "Walensa" von Oscar-Gewinner Andrzej Wajda zu sehen, hoffentlich auch in der Schweiz).
In "Courage" spielt Wię ckiewicz den Mann, der seinem Bruder nicht hilft, nicht nur überzeugend, sondern auch sehr realistisch, denn wieviele würden in einer solchen Situation, die ja auch in der Realität leider regelmässig geschieht, nicht genau gleich handeln?

Hinweis: Wer den Trailer des Films gesehen hat (und wie ich schockiert ab der schlechten Bild- und Tonqualität war), der/dem sei gesagt, dass die Bild- und Tonqualität des ganzen Films perfekt ist, während der Trailer Resultat eines eher missglückten DVD-Transfers war. Zwar in künstlerischer Hinsicht durchaus originell (wenn auch nicht so geplant), war ich um die "normale" bzw. übliche Filmqualität des ganzen Films froh.

Spoiler-Alarm:

Es ist traurig, mitanzusehen, wie der Mann quasi an seinem Nicht-Einschreiten zerbricht und seine Mitbürger, die ihm alle Feigheit vorwerfen, ihn zusätzlich belasten. Auch dies wird sehr realistisch gezeigt, dabei sollten die Mitbürger im Film wie auch bei einem solchen Vorfall in der realen Welt sich erst mal überlegen, wie sie selber reagiert hätten und sich vor allem auch in die Lage des Mannes versetzen (nicht wenige würden sich mit einer Lüge bedienen). Unterstützung wäre hilfreicher als Kritik.
4, 25 Punkte.Mehr anzeigen


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