CH.FILM

Eine wen iig, dr Dällebach Kari Schweiz 2011 – 111min.

Filmkritik

Der glücklose Barbier von Bern

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Oscar-Preisträger Xavier Koller präsentiert kein Remake von Kurt Frühs Klassiker Dällebach Kari, sondern setzt den Schwerpunkt auf die unerfüllte Liebe des jungen, einfachen Coiffeurmeisters zur schönen, aus gutem Hause stammenden Annemarie.

In einem erschütternden Anflug von zynischem Pragmatismus rät der Arzt: Das Neugeborene mit der Hasenscharte solle am besten ersäuft werden, dann gebe es auch ein Maul weniger zu stopfen. Von seiner Mutter wird Kari jedoch "wie es Vögeli" gefüttert und voller Liebe aufgezogen, bis er gross ist und in Bern einen Coiffeursalon führt.

Mit lockerer Zunge lenkt er dort von seinem entstellten Mundwerk ab - doch sein Selbstwertgefühl ist ein kleines geblieben, und so kann er es kaum glauben, als die hübsche Annemarie (Carla Juri) an einem Schwingfest mit ihm tanzen will. Kari (als junger Mann verkörpert von Nils Althaus) verliebt sich in sie und, entgegen seiner Erwartungen, erwidert Annemarie seine Gefühle. Es folgt, so erinnert sich der gealterte Kari (Hanspeter Müller-Drossaart), der schönste Sommer seines Lebens. Heiratspläne werden geschmiedet - doch Annemaries Vater, ein reicher, aufgeplusterter Fabrikant, sieht im näselnden Friseur keinen würdigen Schwiegersohn.

Xavier Kollers Wiederaufarbeitung der Geschichte des Berner Stadtoriginals ist, so wie es der Schweizer Meisterregisseur versprochen hat, kein Remake von Kurt Frühs Kleinod. Frühs Verfilmung zeigte den tragischen Titelhelden ausschliesslich in seiner finalen Lebensphase, saufend, Witz an Witz reissend, bald wegen seiner Krebserkrankung dem Tod geweiht. Koller wählt diese Periode als Ausgangspunkt, um einen von bleierner Schwermut beherrschten Mann in seine Vergangenheit und vornehmlich auf die Liebe seines Lebens zurückblicken zu lassen. Den wahren alten Dällenbach Kari, den etwas schmuddeligen Schluckspecht und Sprücheklopfer, blendet Koller fast vollumfänglich aus. Es ist einem grossartigen Hanspeter Müller-Drossaart zu verdanken, dass Kari auch als solch eindimensionale Figur funktioniert. Von den Spielanteilen her kommt aber genau genommen Nils Althaus die Hauptrolle zu. Und der bietet hier seine bisherige Karrierenbestleistung. Doch auch er und die verzückende Carla Juri schaffen es nicht immer, mit ihrer vorhandenen Chemie die streckenweise sehr schleppende Erzählweise abzufedern. In der Mitte hängt der Film merklich durch. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich an der tollen Ausstattung zu laben, denn am narrativen Schwung.

Im Grossen und Ganzen erfüllt Eine wen iig - de Dällebach Kari sicher sein Ziel: Er berührt, und weist ohne Zweifel Kassenschlager-Potential auf. Das hätte er aber sicher auch getan, wenn Koller etwas von seinem Kuschelkurs abgewichen wäre und den Film ein wenig kantiger und vor allem stringenter inszeniert hätte.

08.02.2012

3

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Kommentare

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Ant80

vor 8 Jahren

Sehr echt gespielt und die Geschichte widerspiegelt die Realität des späten 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Nur das offene Ende hat mich etwas enttäuscht.


alagandi

vor 9 Jahren

Solide Produktion welche einem die Geschichte zeigt wie sie früher wahr. Für eine Schweizerproduktion TOP!


oscon

vor 11 Jahren

Ein für einen Schweizer Film fast schon sensationelles (unschuldiges) Liebespaar, dessen Autentizität in keiner Minute des Films gespielt daher kommt.
Die Tessinerin Carla Juri ist die eigentliche Entdeckung des Films. Die Geschichte ist dramaturgisch, glaubhaft und herzzerreissend dargestellt.
Starkes Schweizer Kino mit einem starken Müller-Drosshart als alten, Nils Althaus (PS: der kann neben schauspielern auch noch singen!) als jungen "Kari". Super!!Mehr anzeigen


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