CH.FILM

Darwin Schweiz 2011 – 86min.

Filmkritik

Exotik und Exodus

Filmkritik: Eduard Ulrich

Nick Brandestini, ein Betriebsökonom aus Zürich, machte sein Hobby zum Beruf. Nach zwei Kurzdokumentarfilmen geht er nun zum ersten Mal über die volle Distanz und gleich über den großen Teich. In der kalifornischen Wüste am Rande des Tals des Todes findet er ein 35-Seelen-Dorf, das er hingebungsvoll, aber eingebungsarm porträtiert.

Chuzpe hat er, dieser unauffällige Nick Brandestini: An einem der vielen Enden dieser Welt findet er ein Dörflein, das von im doppelten Sinne Gestrandeten "bevölkert" wird, dreht ein paar Wochen lang und bietet uns die Sterbensgeschichte dieses Ortes und seiner Bewohner an, auf dass wir daran Anteil nehmen wie er. Geschichte hat dieser Ort zweifellos, der zu seinen "besten" Zeiten mit den florierenden Silberminen mehrere Tausend Einwohner und ein paar wenige Einwohnerinnen zählte.

Doch sein stetiger Niedergang seit 1970, als die letzte Mine geschlossen wurde, lässt keine günstige Prognose zu. Die 35 ExzentrikerInnen haben sich allesamt unfreiwillig aus der Gesellschaft zurückgezogen und viele leben von der Sozialhilfe, denn bezahlte Arbeit gibt es nur im Postamt und nur für exakt eine Person; die Gemeindearbeit wird ehrenamtlich verrichtet. Dafür können sie Geschichten erzählen, die sie geradezu abbauschen, denn in der Ereignisarmut dieser auch sozialen Wüste, wird in der Selbstwahrnehmung jede Mücke zu einem Elefanten.

Die Reste zivilisatorischer Anstrengungen sind entsprechendem Formats: Ein Bonsai-Stonehenge, ein Spielzeugfeuerwehrauto und "Kunstwerke", deren künstlerischen Anspruch man mit der Lupe suchen muss. Die Sozialarchäologie könnte sich dafür interessieren, denn dieser Ort ist im Transformationsprozess zur Geisterstadt bald am Ziel. Vielleicht hält er sich aber auch auf diesem niedrigen Niveau, denn die Zeit scheint in diesem Ort stehengeblieben zu sein. Diesen Stillstand hat Brandestini, der auch die Kamera führte und den Schnitt besorgte, am besten eingefangen. Die sehnsuchtsvoll-melancholische Gitarrenmusik stammt zwar nicht von ihm, unterstützt aber die desolate Stimmung und würde auch gut zu einem Western-Abspann passen.

Überhaupt kann man das ganze Werk als die soziale Miniaturversion des "Titanic"-Unfalls verstehen. Ob dieses Thema in Europa von Relevanz ist, muss sich allerdings erst weisen. Gerade diese entwicklungsgeschichtliche Dimension stellt dann doch noch eine Beziehung zum berühmten Begründer der Evolutionstheorie her, auf den der Dorfname eben nicht zurückgeht, während dieses unfreiwillige Experiment selbst wohl eher an den populären Darwin-Award denken lässt.

15.05.2012

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