Sturm Dänemark, Deutschland, Niederlande 2009 – 110min.

Filmkritik

Im Namen der Anklage

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Thriller von Hans-Christian Schmid: Die Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag schafft es, eine in Berlin lebende Bosnierin zu überzeugen, im Prozess gegen einen mutmasslichen Kriegsverbrecher auszusagen.

Hannah Maynard, engagierte Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, arbeitet hart daran, einem Ex-Befehlshaber der jugoslawischen Armee die Deportation und Ermordung bosnisch-muslimischer Zivilisten nachzuweisen. Der zentrale Zeuge verstrickt sich in Widersprüche, und Hannahs Erkenntnisse vor Ort verstärken die Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Verzweifelt nimmt sich der Zeuge das Leben, doch Hannah gibt den Fall nicht verloren und befragt bei der Beerdigung des Mannes dessen Schwester Mira. Die junge Frau weiß ganz offenbar viel über den Angeklagten, will aber ihr mühsam in Deutschland aufgebautes Leben mit Mann und Kind nicht gefährden.

Die reale Vorlage des filmischen Sujets wird bald Geschichte sein: 2010 stellt das Internationale Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag allen noch offenen Verfahren zum Trotz seine Arbeit ein. Gemeinsam mit Co-Autor Bernd Lange recherchierte Hans-Christian Schmid zeitaufwändig bei Anklägern, Verteidigern und Richtern in Den Haag, sprach mit Zeitzeugen in Bosnien-Herzegowina und versuchte so, gleich zwei komplexe Themen zu durchdringen: das internationale Recht und die Wirren des Balkan-Kriegs. Tatsächlich gelingt es, den Gerichtshof mit teilweise fast dokumentarischen Mitteln als das abzubilden, was er ist: eine Maschine, deren Bedingungen in "schlanken Prozessen" wenig Raum lassen, als fühlendes Individuum zu bestehen und gar keinen Raum für Privates neben dem Politischen. Glücklicherweise erschlagen das große Anliegen und die vielen Informationen den Film nicht: "Sturm" bleibt bei aller politischen Strahlkraft auch einfach ein spannendes Kinoerlebnis.

Das Herz des Films ist dabei Anklägerin Hannah Maynard (großartig: Kerry Fox). Facettenreich macht sie ihr inneres Dilemma sichtbar, rational handeln zu müssen und doch aufs Fühlen nicht verzichten zu wollen. Hannahs schleichende Erkenntnis, dass ihre Gegner nicht nur auf der Anklagebank zu finden sind, sondern auch in den eigenen Reihen, macht die Spannung dieses Politthrillers aus. Die ungewöhnliche Charakterisierung dieser antagonistischen Figuren als reine Pragmatiker eines von demokratischen Staaten installierten und gestützten Systems verleiht dem Thema seine Brisanz und hinterlässt den Zuschauer gleichermaßen emotional berührt und hilflos wie intellektuell stimuliert. Das im Kinosaal wie bei der Protagonistin präsente, im Kern naive Bedürfnis nach Heilung trifft im Film auf die Wirklichkeit: Ein Prozess ist keine Therapie, heißt es hier.

17.02.2024

4

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Kommentare

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sansculotte

vor 14 Jahren

Habe den Film auf der Berlinale gesehen - sehr eindrücklich!


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