Mitte Ende August Deutschland 2009 – 92min.

Filmkritik

Balanceakt für Vier

Kyra Scheurer
Filmkritik: Kyra Scheurer

Seine sommerlich optimistische Version von Goethes Wahlverwandtschaften erzählt Sebastian Schipper ("Absolute Giganten") als tragikomischen Balanceakt zwischen deprimierter Midlifecrisis und beschwingtem Witz. Die handlungsarme Geschichte, nur lose umrissene Figuren und inszenatorischer Mut zur Erklär-Lücke befördern die Spielfreude der Darsteller, fordern vom Zuschauer aber ein hohes Maß an Interesse.

Hanna und Thomas sind mitten in den Dreißigern und schon lange ein Paar - immer noch verliebt und mit humorvollem Umgangston angesichts verschiedener Wesensarten. Zusammen haben sie ein altes Haus auf dem platten Land gekauft, ein echtes Renovierungsprojekt. Wie überfordert die beiden damit sind, zeigt sich schnell: Der ewig kindsköpfige Thomas reißt große Löcher in tragende Wände und Hanna überspielt ihre Sehnsucht nach einem klaren Plan mit aufgesetzter Fröhlichkeit. Nachdem Thomas seinem spießigen und neuerdings arbeits- und familienlosen Architektenbruder Friedrich eigenmächtig Asyl gewährt, lädt Hanna trotzig ihre fast erwachsene Patentochter ein, die Zweisamkeit ist schließlich ohnehin dahin. Bald erwählen sich im Sine der chemischen und literarischen Wahlverwandtschaften die Begehrlichkeiten neu und lösen bestehende Verbindungen auf: Thomas und die blutjunge Augustine lieben beide McDonald's und Kaffee, die kultivierten Teetrinker Hanna und Friedrich schwören auf vegan und während die ersten der Natur ihren Lauf lassen, klammern sich die Stellvertreter gesellschaftlicher Normen an selbige.

Was nach dröger Versuchsanordnung klingt und bei Goethe mit zahlreichen Toten als Liebesexperiment deutlich tragischer endet, wirkt in Sebastian Schippers sehr freier Adaption nur selten konzeptuell überanstrengt. Ganz beiläufig werden die wenigen Geschehnisse erzählt, Baumarktsessions, Bootsausflüge, Dinner mit Gitarrenmusik bei Kerzenlicht, wenig altersgemäße Tetrapack-Saufgelage an der Tankstelle, tastende Kommunikation und Beziehungen, an denen ebenso stümperhaft gewerkelt wird, wie am Haus.

Manchmal ist dieses Dahindümpeln der psychologisch allenfalls anerzählten Figuren sehr anstrengend, dann schimmert aber doch das Talent Schippers durch: Den Schauspielern großen Raum zu lassen und so kleine, ganz eigenwillige Momente zu kreieren. Situationskomik oder kleine Gesten von Einsamkeit und Trauer, Momente, in denen Film und Figuren deutlich mehr bei sich sind, als in den bisweilen gestelzt philosophisch werdenden Dialogen. Diese Beziehungsstudie lebt vor allem von den Darstellern, die zwar zuweilen über das Ziel hinausschießen, aber alle punktuell in Figur und Thema vollkommen aufgehen können. Die Ambivalenz dieses spannungsbeladenen Figurengefüges wird unterstützt vom eigens komponierten Soundtrack der US-Ikone Vic Chesnutt und von wunderbar schwebenden, unprätentiösen Bildern, die weitgehend auf künstliches Licht verzichten.

04.08.2009

3

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

Mehr Filmkritiken

Civil War

Kung Fu Panda 4

Back to Black

Godzilla x Kong: The New Empire