J'ai tué ma mère Kanada 2009 – 96min.

Filmkritik

Metaphorischer Muttermord

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

Adoleszenter Sohn strampelt sich aus der symbiotischen Beziehung zu seiner Mutter heraus: Mit seinem semiautobiographischen Erstling hat der erst 20-jährige Regisseur Xavier Dolan ein Film von ästhetischer Wucht und inhaltlichen Eindringlichkeit geschaffen.

Aus einer Laune heraus erklärt der 17-jährige Hubert (Xavier Dolan) seiner Lehrerin in der Schule, seine Mutter Chantal (Anne Dorval) sei tot. Die Behauptung entspringt allerdings einem Wunschgedanken. Hubert ist selbst von der Heftigkeit seiner Abneigung gegen die Mutter irritiert. Bis vor Kurzem war sie ihm heilig: Da seine Eltern sich schon früh getrennt haben, war sie seine wichtigste Bezugsperson. Doch nun kann er beim besten Willen nichts Liebenswürdiges mehr an Chantal finden, jedes Detail nervt ihn und ihre Auseinandersetzungen erinnern an Zankereien eines alten Ehepaars.

Der metaphorische Muttermord bleibt allerdings nicht unbestraft. Chantal revanchiert sich mit einem hysterischen Anfall vor versammelter Klasse. Von Huberts Wunsch, mit seinem Freund Antonin (François Arnaud) eine eigene Wohnung zu suchen, will Chantal plötzlich nichts mehr wissen. Im Solarium erfährt sie per Zufall von Antonins Mutter, dass ihre Söhne ein Paar sind. Und statt Hubert seine Autonomie zu gewähren, entschliesst sie sich, den aufmüpfigen Sohn ins Internat zu schicken.

Das Jungtalent Xavier Dolan aus Montreal wurde letztes Jahr in Cannes begeistert als neues Wunderkind der Kinoszene gefeiert. In seinem ersten Langspielfilm fungiert er sozusagen als Universalkünstler - er ist Autor, Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent - und beherrscht alle Rollen, als ob er noch nie etwas anderes gemacht hätte. Besonders beeindruckend ist die Nonchalance, mit der Dolan mit dem teilweise autobiographischen Material umgeht. Dolan erzählt das existenzielle Ringen eines Sohnes mit der rebellischen Kraft der Jugend und der Distanz und Weisheit eines des erwachsenen Mannes zugleich. Je mehr sich die Hauptfigur Hubert die Seele aus dem Leib rebelliert, umso differenzierter und vielschichtiger wird der Blick des Regisseurs Dolan auf das widersprüchliche Mutter-Sohn-Verhältnis.

Ohne Berührungsängste lässt Dolan mit dem metaphorischen Muttermord klassische Stoffe der Literatur und Philosophie anklingen. Weil er dabei immer bei sich und seinen Emotionen bleibt, wirkt der Film dennoch nicht prätentiös. In gleicher müheloser und fast unbedarfter Weise spielt Dolan mit filmischen Mitteln und doch wirkt sein Stil elaboriert und ausgetüftelt. Und als wäre dies noch nicht genug fügt er der Erzählung mit feiner Komik eine gut dosierte Prise Unterhaltsamkeit hinzu.

22.02.2024

5

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Kommentare

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tombern

vor 14 Jahren

köstlicher film voller tempo und hektischer dialoge... absolut sehenswert und zu emfpehlen.


tombern

vor 14 Jahren

... wie dieser pubertierende Junge seine Mutter "tötet"...
Voller Tempo, voller Herzschmerz, teilweise etwas durchgeknallt und doch herzlich. Ein wirklich sehenswerter Film voller Tempo und knackiger Dialoge...


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