Trip to Asia - Die Suche nach dem Einklang Deutschland 2008 – 120min.

Filmkritik

Trübe Luft, klarer Klang

Filmkritik: Eduard Ulrich

Wenn ein Weltspitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker seinen Mitgliedern erlaubt, unzensiert über ihr Berufsleben zu plaudern, kann das leicht in peinliche Selbstbeweihräucherung ausarten. Erfreulicherweise kann man Entwarnung geben und einen exemplarischen Diskurs über das fragile Verhältnis von Individuum und System vermelden.

Nur wenige Prozent des jährlichen Klangproduktemarktes sind von den sogenannten hochkulturellen Erzeugnissen besetzt. Einst renommierte Labels sind Anhängsel der immer noch weit ertragreicheren "Unterschichtbelieferer" geworden oder gleich ganz eingegangen. Da kann man sich tatsächlich fragen, was die Beschäftigung mit einer elitären Spielart europäischer Hochkultur im Massenmedium Film zu suchen habe.

Die Antwort ist so schlicht wie überzeugend: Dieses Orchester mit seinen eigenwilligen und egozentrischen Mitgliedern ist ein Paradebeispiel basisdemokratischer Prozesse und systembedingter Schwierigkeiten des Interessenausgleichs zwischen Individuum und Gemeinschaft. Hatte sich Regisseur Thomas Grube in seinem Vorgänger "Rhythm Is It!" bereits schon viel mehr für die Menschen als für die Musik interessiert, so macht er auch hier bereits in den ersten Bildern vom Probespiel, mit dem sich MusikerInnen eine halbjährige Probezeit erkämpfen können, klar, dass es ihm um die Motivation, die Ängste und die Einstellung derjenigen geht, die in der Masse der 126 Orchestermitglieder meist nicht einzeln wahgenommen werden.

Die Konzerttournee in tonangebende, aber smogverhüllte Metropolen Ostasiens - Beijing, Schanghai, Seoul, Hong Kong, Taipei und Tokio standen neben Straußens Heldenleben, Beethovens Fünfter und einem Werk des experimentierfreudigen Engländers Thomas Adés auf dem Programm - bot die perfekte Gelegenheit, die MusikerInnen einzeln zu Wort kommen zu lassen, denn diese trotz ihrer wenigen Stationen ziemlich anstrengende Reise erzeugte einerseits einen gewissen Stress, der Probleme akzentuierte, liess andererseits aber Zeit und Raum für Reflexion, weil die tägliche Routine des Privatlebens fehlte.

So sind viele bemerkenswert freimütige und selbstkritische Kommentare zusammengekommen, die ein klar konturiertes Bild vom heiklen Balanceakt zwischen individueller Selbstverwirklichung und kollektivdienlicher Selbstaufgabe zeichnen. Angenehm, dass Strahlemann Maestro Simon Rattle sich uneitel als Musik-Junkie präsentiert, der genauso von Selbstzweifeln geplagt wird wie seine Truppe.

22.08.2008

4

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Kommentare

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madchen

vor 15 Jahren

hat mich dieser Film berührt. Nicht nur die Musik, sondern auch die Protagonisten haben mich voll in ihren Bann gezogen und mir eine andere Seite des Lebens gezeigt. Eindrücklicher Film über eine kleine Welt in sich selbst!


soda4yoda

vor 15 Jahren

Als nach etwa einer Viertelstunde das erste Mal die Philharmonie zu spielen begann, musste ich heulen vor Rührung. Ich liebe Gefühlskino über alles, hätte aber nicht erwartet, dass mich dieser Film 120 Minuten lang im innersten der Seele berühren würde.
Wunderbare Homage an die hohe Kunst der Musik und ihrer Interpreten. Auch für Klassik-Banausen einen Besuch wert.Mehr anzeigen


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