Die Klasse Frankreich 2008 – 128min.

Filmkritik

Problemzone Klassenzimmer

Beatrice Minger
Filmkritik: Beatrice Minger

Gefühlt ein Dokumentarfilm: "Entre les murs" von François Cantet ist ein vielschichtiges Porträt einer Schulklasse im 20. Pariser Arrondissement, das mit seiner Eindringlichkeit der Gesellschaft auf den Puls fühlt.

Französischlehrer Marin (François Bégaudeau) ist entschlossen, seinen Schülern nicht nur den Konjunktiv Imperfekt beizubringen sondern auch Toleranz und Respekt. Er nimmt sie ernst, hält ihrer Abgelöschtheit seinen Enthusiasmus entgegen und kontert provokative Fragen mit Witz und Ironie. Doch zunehmend misslingt ihm der Balanceakt zwischen Zuhören und Grenzen setzen. Um die Kontrolle nicht zu verlieren, greift er immer häufiger zu autoritären Massnahmen. Schliesslich spitzt sich ein Konflikt mit dem Problemschüler zu. Wenige Momente, in denen sich Marin falsch entscheidet, lassen die Situation eskalieren.

"Entre les murs" sieht einem Dokumentarfilm zum verwechseln ähnlich. Basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von François Bégaudeau, der im Buch seine persönlichen Erfahrungen als Lehrer aufarbeitet und auch als Co-Drehbuchautor fungierte, werden eine Reihe von alltäglichen und authentischen Situationen in einer Schule in der Vorstadt von Paris geschildert. Unter der Beobachtung von drei Kameras und durch die Beschränkung auf wenige Schauplätze - hauptsächlich des Klassenzimmers - entfaltet sich dabei ein lebendiger Organismus von Beziehungen und Machstrukturen. Der Lehrer - Bégaudeau übernimmt die Hauptrolle gleich selbst - und die Schüler werden von Laien gespielt, die dem Film eine knisternde Energie verleihen. Mit einfachen filmischen Mitteln erzeugt Cantet so eine Dichte der Inszenierung, in der "richtig" und "falsch" nicht mehr klar zu unterscheiden sind. Zum Vorschein kommt ein verletzliches Gefüge, in dem letztlich Nuancen darüber entscheiden, auf welche Seite das Pendel ausschlägt.

Das Scheitern des Lehrers ist aber auch ein Scheitern der Wunschvorstellung, dass die Schule die Versäumnisse der Gesellschaft auffangen könne. Die Vorstellung, die engen Mauern der Institution könnten Faktoren wie Chancen-Ungleichheit, Integration, kulturelle und soziale Ausgrenzung gepaart mit der brennenden Phase der Pubertät im Zaun halten, wird radikal in Frage gestellt. Lehrer und Schüler werden gleichermassen Opfer dieser Utopie. Dennoch wird der Glaube an schulische und soziale Bildung keineswegs aufgegeben und weder François Cantet noch Bégaudeau sind pessimistische Schwarzmaler. "Entre les murs" zeichnet ein differenziertes Porträt der Schule, das in seiner Intensität immer auch Lust am Unterricht versprüht. Dies macht den Film nicht nur für Lehrer und Schüler, sondern auch für alle anderen Zuschauer, die nicht an die Eindimensionalität des Lebens glauben attraktiv. Nicht zuletzt deshalb gewann "Entre les murs" 2008 die goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes.

17.03.2010

5

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Kommentare

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cineraphi

vor 15 Jahren

In diesem Film geht es schlicht um die Realität. Wer glaubt, eine Musterlösung für das Führen einer schwierigen, heterogenen Klasse zu finden, dem wird dieser Film mit Sicherheit nicht zusprechen.
Gerade für Lehrpersonen ist der Streifen jedoch sehr zu empfehlen, spiegelt er mit guten Schauspielern das Metier der Lehrpersonen wider. Das Spannende an diesem Film ist die Quintessenz bzw. Moral. Man kriegt sie nicht wie in den meisten Filmen auf einem schön angerichteten Teller präsentiert. Der Sinn dieses Films liegt darin, über Schule und Gesellschaft nachzudenken.Mehr anzeigen


gerimoll

vor 15 Jahren

La Classe - eine Klasse wie es tausende gibt. Ein Lehrer wie es tausende gibt. Schulstunden wie es zehntausende gibt - wahrlich nichts Spannendes. Der Film ist leider zu banal ausgefallen, wäre doch das Thema spannend.


martreb

vor 15 Jahren

Uninteressanter Lehrer streitet sich mit desinteressierten Schülern. Wenig ausgearbeitete und meistens unsympatische Personen - ein Lehrer, der sich in meist arroganter Art und Weise über seine SchülerInnen mokiert - SchülerInnen, die einem nicht ans Herz wachsen und in stereotypen Handlungen verharren - schlechte Kamera - schlecht erzählte Geschichte, kurz: ein wirklich nicht guter Film. Unverständlich die Lobeshymnen der KritikerInnen.
Aber viele LehrerInnen im Publikum, die sich nach Ende des Films anerkennend auf die Schultern klopfen und sich gegenseitig in der Härte ihres Schicksals bestätigen konnten.Mehr anzeigen


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