CH.FILM

Someone Beside You Schweiz 2006 – 98min.

Filmkritik

Wer einen Verstand hat, kann ihn auch verlieren

Sarah Stähli
Filmkritik: Sarah Stähli

Ein kleiner Mann redet aufgebracht auf einen Riesen von einem Mann ein, er akzeptiere dieses masslose Verhalten nicht länger und er könne dies jetzt auch nicht auf den Ausserirdischen zu schieben. Der Riese spricht von mangelndem Respekt ihm gegenüber und bleibt durch den Gefühlsausbruch scheinbar unbeirrt. In der brillanten Anfangsequenz wird zuerst gar nicht klar, wer welche Rolle einnimmt. Wer ist Patient, wer Therapeut?

Johann Litschig ist Psychiater und Psychotherapeut. Er wurde als psychisch krank diagnostiziert und hat die Lizenz für eine eigene Praxis verloren; seine eigene Psychose-Erfahrung setzt er seitdem für seine Arbeit als Therapeut ein.

Der Dokumentarfilm "Someone Beside You" des Basler Filmemachers Edgar Hagen ("Zeit der Titanen") erzählt von der Beziehung zwischen Psychose-Patienten und ihren Therapeuten und beleuchtet unkonventionelle Methoden und Ansätze der Psychotherapie. Protagonisten sind neben Litschig der charismatische amerikanische Psychotherapeut Eric Chapin sowie der Psychiater und Psychoanalytiker Edward Podvoll.

Es ist erstaunlich, wie offen und klar, geradezu einsichtig die Porträtierten über ihre Krankheit sprechen. Dadurch wirkt der Film nie voyeuristisch. Karen verbrachte viele Jahre ihrer Jugend in einer psychiatrischen Klinik, der Aufenthalt endete damit, dass sie sich aus dem zehnten Stock stürzte. Seit jeher versuche sie ihr gebrochenes Herz zu heilen, sagt die mittlerweile über fünfzigjährige, attraktive Frau, die trotz ihrer Verletzlichkeit eine unglaubliche Kraft ausstrahlt. Karen schätzt Edward Podvolls radikale Einstellung zur Psychotherapie und seine Überzeugung, dass psychische Probleme im Grunde spirituelle Krisen seien. Der inzwischen verstorbene Podvoll verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Mönch in einem tibetisch-buddhistischen Kloster. «Er glaubt Psychiatriepatienten. Schon das allein ist ziemlich radikal. Er gibt einem das Gefühl, dass jeder seinen Verstand verlieren könnte, sogar er selbst». Tatsächlich ist Podvoll der Ansicht: «Wer einen Verstand hat, kann ihn auch verlieren». Für ihn ist Wahnsinn der Ausdruck dafür, mehr vom Leben zu wollen.

Hagens dichter, kunstvoller und nie verklärender Film ist auch ein Roadmovie. Litschig führt seine Behandlung grösstenteils unterwegs in einem Wohnmobil durch. Laut Hagen ist dies jedoch auf seinen Wunsch hin entstanden, eine gezielte Inszenierung in einem Dokumentarfilm also. Bemerkenswert ist die Kameraarbeit von Eric Stitzel. Die Cadrage erinnert entfernt an die Filme Ulrich Seidls. Manche Sequenzen würde man am liebsten für einen Spielfilm adaptieren, so grandios sind viele der Dialoge, so originell die Figuren.

"Someone Beside You" ist ein wichtiger, eindrücklicher Film, der es schafft, zumindest ansatzweise zu vermitteln, was während einer Psychose mit einem Menschen geschieht und der aufzeigt, dass die Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn fliessend sind.

25.05.2021

4.5

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Kommentare

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gigigi

vor 16 Jahren

Kann mich den Meinungen nur anschliessen. Schade finde ich, dass die Bildqualität schlecht ist und nicht viel Wert auf Kameraführung und Schnitt geachtet wurde.


phirzel

vor 16 Jahren

ICh finde der Film hat Längen. Er zappt immer wieder auf neue PErsonen und deren Geschichte. Gut ist dass mann nicht immer weiss wer eigentich spinnt.....


erad05

vor 16 Jahren

Ein aussergewöhnlicher Film über das Thema Geisteskrankheit, der Einblick gibt in die Welt der "Verrückten" und was sie bewegt.
Sehr empfehlenswert für alle Betroffenen und die halbgötter in Weiss....


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