Paranoid Park Frankreich, USA 2007 – 90min.

Filmkritik

Schuld und Verdrängen

Pascal Jurt
Filmkritik: Pascal Jurt

Gus van Sant kehrt nach Oregon zurück und variiert noch einmal das Todesthema seiner vorausgegangenen Trilogie. Wie sein mit der Goldenen Palme ausgezeichnete "Elephant" handelt "Paranoid Park" nicht nur geographisch am selben Ort, sondern auch im selben sozialen Milieu der amerikanischen Mittelklasse.

Gus van Sant, US-Independent-Ikone und sensibler Chronist des Heranwachsens, porträtierte immer wieder junge Outsider, die sich den sozialen Disziplinierungszwängen widersetzen. Anders als in den Filmen der Trilogie, die den Zugang zu den Emotionen und Gedanken der Protagonisten verweigerten, zielt "Paranoid Park" mitten auf die Gefühlswelt des Teenagers.

Es ist die Geschichte des 16jährigen Skaters Alex (Gabe Nevins). Der High School-Schüler und sein Freund Jared (Jake Miller) sind magisch vom Skatespot "Paranoid Park" angezogen. Die beiden Jungs streunen somnambul durch das sogenannte Leben und beschliessen, am nächsten Tag an den Platz zurückzukehren, wo sich die Street Skater und andere Outlaws treffen. Als Jared wegen eines Dates den Plan abbläst, geht Alex alleine hin. Der 16-Jährige wird von einem älteren Skater zum Bahnsurfen mitgenommen, wo er zufällig mit einen Schutzmann in eine Auseinandersetzung gerät. Als er ihn abwehrt, fällt dieser auf ein Zuggleis und wird von einem herannahenden Zug erfasst.

Wie in einem Albtraum schaut Alex auf den zerteilten Leib des Wachmannes. Das Reale bricht in die "éducation sentimentale" ein. Alex jedoch spricht mit niemandem darüber, versucht, sein normales Leben weiterzuführen. Van Sant spürt dem Verlust der jugendlichen Unschuld und der Angst vor der Enttarnung unglaublich intensiv nach. Alex trägt seine Schuld wie unter Narkose durch den Alltag, schleppt sein Schicksal durch die endlos langen Korridore der High School. Seine Gewissensbisse und die Angst werden in flirrenden, schwebenden Bildern, in losen, impressionistischen Bildfolgen erzählt.

Die Sätze der Mittelstands-Eltern surren an Alex' Lebenswelt vorbei; die Erwachsenen und ihre Werte werden auch von der Kamera ausgeschlossen. "Paranoid Park" teilt mit den Vorgängern nicht nur die jugendlichen Protagonisten und Laiendarsteller, die für diesen Film via MySpace gecastet wurden, sondern auch die Zeitschleifen, das Pendeln zwischen "teenage angst", Begehren, Mangel, Alltag und existenziellen Situationen sowie eine elaborierte Tonspur, die, wo sie vom Bild abgekoppelt wird, ein Flirren erzeugt.

Die atmosphärische Tonspur, die traumverloren ausdrucksstarke Bildsprache von Wong Kar-Wais Mitstreiter Christopher Doyle und die in Super 8 gedrehte Skateboard-Ästhetik von Rain Kathy Li, die unorthodoxe Narration, die chronologisch später stattfindende Sequenzen immer wieder einschiebt, rückt von einer klassischen Dramaturgie der Situationen ab und kommt so ganz nah an die Erfahrungswelt des jungen skatenden "Raskolnikoffs". Während Blake Nelsons Romanvorlage in Form eines Tagebuches den direkten Zugriff auf die Subjektivität des Protagonisten ermöglicht, versucht Van Sant die Schuld des Jugendlichen nicht mit Psychologie und Plot zu fassen, sondern ihr atmosphärisch näher zu kommen. Selten in letzter Zeit ist jemand Robert Bressons Satz, man solle die Endlichkeit, den Tod, mitbedenken, um durch diese Folie einen anderen Blick auf alltägliche Details und Gesten zu gewinnen, so nahe gekommen wie Gus van Sant mit seinem neuestem Film.

16.02.2024

4

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