L'avocat de la terreur Frankreich 2007 – 137min.

Filmkritik

Der Anwalt als Rampensau

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

Rechtzeitig zum 68er-Klassentreffen kommt Barbet Schroeders Dokumentarfilm über Star-Anwalt Jacques Vergès in die Kinos. Der schillernde Jurist schuf sich in den letzten 50 Jahren einen Namen als Verteidiger von Terroristen, Nazigrössen und anderen Genozid-Veranstaltern. Dabei ist sein erklärtes Ziel, den Rechtsstaat zu blamieren.

Bereits seine Herkunft ist schillernd: Zwischen den Weltkriegen als Sohn eines Franzosen und einer vietnamesischen Mutter im französischen Kolonialgebiet geboren, erfuhr Jacques Vergès schon früh, was es heisst, keiner Seite richtig anzugehören. Sehr jung schloss er sich General de Gaulles Truppen an, um gegen die Nazis zu kämpfen. Es folgte das Studium in Paris, wo er sich im Milieu linker und antikolonialer Gruppen bewegte. 1957 dann ein erster Auftritt im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Der frischgebackene Anwalt übernimmt es, algerischen - je nach Lesart - Terroristen oder Freiheitshelden als Verteidiger beizustehen. Es gelingt ihm mit Hilfe der Medien, das Verfahren gegen die Bombenleger in ein Verfahren gegen die Kolonialmacht Frankreich zu verwandeln. Auf der Anklagebank sitzen nun plötzlich nicht mehr Algerier, sondern die unbarmherzigen Imperialisten aus der ersten Welt, welche Freiheitskämpfern den Prozess zu machen versuchen. Ein erstes Mal zieht Vergès dem französischen Staat vor versammelter Weltpresse die Hosen runter.

Er heiratet danach die algerische Freiheitsikone Djamila Bouhired und siedelt in die neu gegründete algerische Republik über. Das beschauliche Leben, das er hier führt, wird ihm aber bald schon zu eintönig. Er verlegt seine Aktivitäten in den Nahen Osten, wo er sich auf Seiten verschiedener palästinensischer Terrorgruppen engagiert. Seine Fähigkeit, immer wieder den Westen auf die Anklagebank zu ziehen und ihn vor der Weltpresse der Heuchelei zu überführen, macht den kleinen Mann zu einem der Helden der 68er-Bewegung. In den 1970ern verschwindet Vergès für über acht Jahre von der Bildfläche. Bis heute ist nicht klar wohin; man vermutet nach Kambodscha, ins mörderische Reich der Roten Khmer. Als er in Frankreich wieder auftaucht, übernimmt er die Verteidigung von RAF-Terroristen. Noch immer stimmt die ideologische Linie. Später verlässt Vergès das linke Spektrum und verteidigt fortan unterschiedslos Terroristen (Carlos, genannt der Schakal), Diktatoren (Slobodan Milosevic) und Nazis wie den Gestapo-Chef Klaus Barbie oder den Holocaust-Leugner Roger Garaudy, um nur die prominentesten Fälle zu nennen.

Anders als Doku-King Michael Moore vermeidet Altmeister Barbet Schroeder («Single White Female») die grelle Schwarzweissmalerei. Lieber arbeitet er sich langsam und sorgfältig in eine Welt voller Widersprüche hinein. Dabei assistieren ihm Vergès' Freunde und Feinde, die in langen Interviews das Bild eines nicht zu fassenden Typen zeichnen. Der Anwalt selbst gibt ebenfalls Auskunft, vermeidet es aber die Wahrheit hinter den Legenden, die sich seit jeher um seine Figur ranken, zu enthüllen. Im Gegenteil: Vergès spinnt als sphinxhaftes Rumpelstilzchen munter weiter am Mythos des Abenteurers, der als unbestechlicher Anwalt die dunklen Zonen der Menschheit erkundet. Doch Schroeder ist souverän genug, dieses Bild nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Mittels kluger Montage gelingt es ihm zu zeigen, wie sich der einstige Verteidiger in Sachen Befreiung der Völker zum äusserst medienbewussten Zampano der nationalen und internationalen Gerichtshöfe mauserte. Je hoffnungsloser ein Fall, desto gewisser tauchte früher oder später Vergès auf Seiten der Verteidigung auf. Immer mehr betrieb der Franzose sein Geschäft wie ein Hochleistungssport und sonnte sich im Aufmerksamkeitsfenster, das ihm die Weltpresse noch in jedem Fall aufgestossen hatte.

Auf die Frage, wo Vergès politisch steht - ist er Linksextremist? Nazi? Antisemit? Antidemokrat? -, vermeidet Schroeder eindeutige Antworten. Dieser Anwalt ist tatsächlich eine ideologische Wundertüte. Wie viele seiner 68er-Genossen hat auch Vergès in den letzten Jahrzehnten markante Kehrtwendungen vollzogen. Im Gegensatz zu vielen seiner alten Mitstreitern, die nach dem langen Marsch durch die Institutionen heute dort stehen, wo vor 40 Jahren der Feind stand, ist Vergès auf Konfrontationskurs geblieben. Was immer den Franzosen antreibt: Ich-Sucht, Abenteuerlust, ein philosophisches Interesse am Bösen oder selbstloses Engagement - die Art und Weise, wie Vergès die Ankläger seiner Klientel seit über 50 Jahren vom hohen moralischen Ross runterstösst, verdient Respekt. In Barbet Schroeder hat Vergès auf jeden Fall einen kongenialen Biografen gefunden.

25.05.2021

4

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