The Year my Parents Went on Vacation Brasilien 2006 – 104min.

Filmkritik

Fussballbegeisterung als Allheilmittel

Filmkritik: Eduard Ulrich

1970 ist ein Weltmeisterschaftjahr, und die Militärdiktatur im fussballverrückten Brasilien geht abseits des öffentlichen Interesses besonders hart gegen Regimekritiker vor. Leidtragender ist in diesem Fall der 12-jährige Mauro, der sich plötzlich fast allein durchschlagen muss.

Den Sommer 1970 mit der Weltmeisterschaft in Mexiko und einer hervorragenden brasilianischen Nationalmannschaft hatte sich der 12jährige Fussball-Aficionado Mauro (Michel Joelsas) schon schön vorgestellt, aber es kommt anders. Urplötzlich soll er für einige Zeit bei seinem Grossvater leben, weil seine Eltern sofort in die Ferien fahren, wie sie ihm einbleuen. Natürlich kommt ihm das merkwürdig vor, und die vage Zusicherung, das Endspiel gemeinsam zu erleben, zusammen mit den gar heftigen Abschiedstränen seiner Mutter beruhigen ihn nicht eben.

Als dann die Übergabe an den Grossvater nicht klappt, sieht es nach einer Katastrophe aus: Buchstäblich mutterseelenallein in einem ihm unbekannten Stadtvierteil São Paulos, dazu ein unfreundlicher, betagter Nachbar des Grossvaters, der ihn auf Jiddisch anspricht, was er nicht versteht. Doch diese unglücklich verlaufende erste Begegnung ist der harzige Anfang einer Beziehung, die für beide noch einige Überraschungen birgt. Der alte Mann nimmt sich widerwillig Mauros an, bietet ihm Unterschlupf und zu essen. Ebenfalls mehr wider- als freiwillig schliesst Mauro Bekannschaft mit einem gleichaltrigen Mädchen, das 2 Stockwerke höher wohnt und den Jungen der Umgebung einen gar speziellen Dienst verkauft. Mauro kommt so wenigstens in Kontakt mit Gleichaltrigen.

Es geht dem Regisseur und Drehbuchautor Cao Hamburger nicht um die politische Dimension, sondern um die individuelle Herausforderung, in der Verlassenheit, der Hilfsbedürftigkeit und der Orientierungslosigkeit zu bestehen und zu reifen. Konsequent wird deshalb aus der Sicht Mauros erzählt, der ausgezeichnet besetzt ist. Auch sein "Gspänli" wider Willen spielt hervorragend, womit schon viel gewonnen ist, denn in vielen Szenen ist Mauro allein oder mit diesem Mädchen und anderen Jugendlichen zusammen. Die brutale Gewalt der Diktatur spielt manchmal eine Rolle, aber weit wichtiger ist die einende Fussballbegeisterung, der sich auch Mauro trotz seiner prekären Lage kaum entziehen kann. Neben diesen Szenen natürlicher Freude gibt es aber auch einige, die etwas gar konstruiert und plump arrangiert wirken, was einen zwiespältigen Gesamteindruck hinterlässt. Immerhin wurde der Film an die Berlinale eingeladen, und sein Drehbuch erhielt am Filmfestival von São Paulo den ersten Preis der Kritik.

17.02.2024

3

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