Sehnsucht Deutschland 2006 – 88min.

Filmkritik

Von Liebe, Leid und Leidenschaft

Filmkritik: Carole Koch

In "Sehnsucht" bringt die Bremerin Valeska Griesebach grosse Gefühle von kleinen Leuten auf die Leinwand. Ihr Liebesdrama findet in Schlichtheit und Zurückhaltung eine beeindruckende emotionale Intensität.

Bei Heinrich von Kleists "Novelle Marquise von O..." ist es ein simpler Gedankenstrich, der als Platzhalter für jene körperliche Zusammenkunft zweier Menschen dient, nach der nichts mehr ist wie zuvor. In Valeska Griesebachs "Sehnsucht" markiert ein einziger Schnitt dieselbe schicksalshafte Annäherung: Eben noch tanzt Markus (Andreas Müller) in einem Landgasthof angetrunken und gedankenversunken zu Robbie Williams "Feel" in der nächsten Einstellung findet sich der verheiratete Schlossermeister bereits im Bett der Kellnerin Rose (Anett Dornbusch) wieder.

Niemand kann verstehen, was in Griesebachs unscheinbaren und bescheidenen Helden gefahren ist, dessen Leben und Liebe bis zu dieser Nacht eine beschauliche Idylle war. Am wenigsten er selbst. Schliesslich führt Markus eine glückliche Beziehung mit seiner Jugendliebe Ella (Ilka Welz), ist zufrieden mit dem ländlichen Leben in der brandenburgischen Provinz, wo Feste der Freiwilligenfeuerwehr, Chorsingen und Verwandtengeburtstage für die einzige Aufregung sorgen. Er ist ein einfacher, schweigsamer Mann mit treuem Blick und grossem Herz, der an Wochenenden gerne mit Oma und Opa Kuchen isst oder auf dem Keyboard "Ich möchte ein Eisbär sein" klimpert.

Diese kleine heile Welt ist nun aus dem Lot geraten. Denn was im ersten Moment noch als bedeutungsloser Fehltritt gedeutet werden könnte, ist der Anfang einer innigen Liebe, von der die grossen Gefühle zu seiner Frau scheinbar unberührt bleiben. Je mehr sich Markus seiner Sehnsucht hingibt, desto tiefer verstrickt er sich im Kampf der Emotionen und desto grösser wird auch der Riss, der sein Herz in zwei Hälften spaltet.

Mit diesem Szenario von Liebe, Leid und Leidenschaft ist Valeska Griesebach ein Stück grosses deutsches Gefühlskino gelungen. Es ist jedoch nicht der Inhalt sondern die Form, die diesem Film seine besondere emotionale Kraft verleiht. Ebenso schlicht und einfach wie die Protagonisten ist auch die Sprache, mit der die Jungregisseurin diese klassische Dreiecksgeschichte erzählt. Ganz nach dem Motto "weniger ist mehr" lässt sie in langen Kameraeinstellungen statt Worte Blicke, Gesten und Stimmungsbilder sprechen und verleiht dem Geschehen so einen verblüffend realen Charakter. So kann man die innige Verbundenheit zwischen Markus und seiner Frau Ilka förmlich fühlen, wenn Griesebach das Paar in einer Szene einfach nur eng umschlungen einschlafen lässt. Und Markus' unschuldige und unfassbare Sehnsucht wird nirgends spürbarer, als wenn er sich in unbeholfener Manier auf der Tanzfläche wiegt.

Dieser Film findet in Stille und Reduktion eine aussergewöhnlich starke emotionale Intensität und weckt so die Sehnsucht nach mehr purem, unspektakulärem und schlichten Gefühlskino.

18.05.2021

4

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Kommentare

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mikosh

vor 17 Jahren

Diesen Film muss man zweimal gesehen haben. Erst dann versteht man den Hintergund bzw. kann sich eine richtige eigene Meinung bilden. Leicht abstrakt aber meisterlich. Ein moderner Heimatfilm der Neuen Generation. So muss es sein und "so muss er kommen".


karamalz107

vor 17 Jahren

EIN DRAMA OHNE HAPPY END. FASZINIEREND, WIE ALLES UND ALLE UNGESCHMINKT GEFILMT WERDEN. DAS WAHRE LEBEN EBEN OHNE GLANZ UND GLAMOUR. EINE GESCHICHTE DIE IN NACHBARSWOHNUNG 1 ZU 1 SO PASSIEREN KANN. DER FILM HAT MICH AUF SEINE WEISE FSZINIERT. ABSOLUT SEHENSWERT


pradatsch

vor 17 Jahren

Herzzerreissend, wie aufrichtige Liebeserklärungen durch die sachlich-kühle Umgebung und das vermeintlich unerbittliche Schicksals unterlaufen werden. Als Zuschauer wird man dabei durch lange Einstellungen bei abrupten Schnitten von einer Impression in die andere entlassen.


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