CH.FILM

Ultima Thule Schweiz 2005 – 90min.

Filmkritik

Verletzlicher Mensch - gewaltige Natur

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

"Ultima Thule" bezeichnete in der Antike den nördlichsten Rand der Welt. In entlegene Landschaften und buchstäblich an den Rand seines Lebens gelangt auch der Protagonist in Hans-Ulrich Schlumpfs neuestem Werk.

Börsengeschäfte sind Fred Böhlers Leben, und selbst im Auto wickelt er noch über Freisprechanlage seine Geschäfte ab. Eines Tages wird ihm dies zum Verhängnis - er verunfallt schwer. Noch während er aus dem Auto geborgen wird, schwingt sich ein Steinadler auf einen Baum. Es ist dasselbe Tier, das sich wie eine Prophezeiung bei Böhlers Wegfahrt im Garten aufgehalten hatte.

Derweil man im Spital um sein Leben kämpft, gerät Böhler im Komazustand durch einen weissen Tunnel in eine andere Welt. Doch es sind reale Landschaften, die er mit dem Adler oder als Adler durchquert: Über den Aletschgletscher geht die Reise bis nach Alaska. Die ganze Macht und Grösse der Natur erschliesst sich ihm. Aufnahmen des Weltalls wechseln mit Einstellungen auf Algen und Geisseltierchen durchs Mikroskop. Eisberge krachen ins Meer, Wassermassen stürzen nieder, und aus der Vogelperspektive entdeckt Böhler Mondlandschaften und steppenähnliche Gegenden.

Die Landschaften sind aber auch Auslöser für Erinnerungen. Schlüsselerlebnisse seines bisherigen Lebens - Kindheit, Schulzeit und die Bekanntschaft mit seiner Gattin, einer erfolgreichen Geschäftsfrau - tauchen vor seinem inneren Auge auf. Und sein Mentor aus der Schulzeit fällt ihm ein, mit dem er unzählige Wanderungen unternahm und der ihn mit den Geheimnissen der Natur vertraut machte. Allmählich wird Böhler bewusst, dass er seinen Traum von der Wissenschaft, vom Erforschen des Lebens, für sein Dasein als Geschäftsmann aufgegeben hatte. Doch in der Zivilisation - einer Minenarbeitersiedlung - angekommen, beschliesst er, in sein Leben mit Frau und Kindern zurückzukehren.

Der Autounfall und die Intensivstation dienen dazu, die Verletzlichkeit des Menschen zu demonstrieren - demgegenüber erscheint die Natur umso gewaltiger und unendlicher. Doch die Story gerät stark in den Hintergrund: Durch die Wiedergabe wissenschaftlicher Ausführungen des Mentors und die Voiceover-Erzählung droht der Film immer wieder in den Dokumentar- bzw. Lehrfilmbereich zu gleiten. Der Geschichte fehlt es an Antrieb und Spannung, und im Grunde entsteht der Eindruck, als wäre sie blosser Vorwand für einen esoterisch angehauchten Dokumentarfilm.

Hinzu kommt, dass die Bildebene grösstenteils für die Naturaufnahmen reserviert ist: Die ganze Lebensgeschichte Böhlers wird nur über die Voiceover vermittelt. Damit erhält der Film einen meditativen Anstrich, der den traumhaften Charakter unterstützen mag. Doch bringt diese Technik einige Längen mit sich; daran vermag auch die Besetzung mit einem hochkarätigen Schauspieler (Stefan Kurt als Alfred Böhler) nichts zu ändern.

Unbestreitbar ist aber die Bildgewalt der atemberaubenden Landschaftsaufnahmen (Kamera: Pio Corradi). Diese hätten sicherlich genügend Stoff für einen reinen Dokumentarfilm geboten, und auf die mehrmals ans Kitschige grenzende Handlung hätte allenfalls verzichtet werden können.

01.06.2021

3

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