CH.FILM

Katzenball Schweiz 2005 – 90min.

Filmkritik

Lesben Leben

Filmkritik: Irene Genhart

Veronika Minders erster langer Dokumentarfilm "Katzenball" blättert rund sechzig Jahre Schweizer Lesbengeschichte auf.

Vergleicht man das Leben der Schweizer Frauen von heute mit demjenigen ihrer Geschlechtsgenossinnen vor hundert Jahren, fallen markante Unterschiede auf. Anders als früher besitzen die Frauen heute das Stimmrecht, haben eine Ausbildung, manche gar einen Studienabschluss. Sie absolvieren - oft trotz, bzw. mit Kind - eine ansehnliche Karriere jenseits von Herd und Familie, und sie sind gesetzlich dem Mann gleich gestellt. Dass dem so ist, ist nicht nur, aber doch zum (grossen) Teil das Verdienst der Frauen selber; es ist ein bisschen mehr noch das Verdienst der Lesben, die sich seit jeher engagierter um die Interessen und Bedürfnisse des eigenen Geschlechtes kümmern, als Heteras.

Einige der wichtigsten Ereignisse, welche die Geschichte der Frauen in der Schweiz in den letzten hundert Jahren bestimmten, kriegt man in Veronika Minders Dokumentarfilm "Katzenball" nun vorgeführt. Vor allem aber kriegt man hier den Teil der Schweizer Frauengeschichte erzählt, der laut einer der Protagonistinnen "gar nie existierte": Den der Lesben in der Schweiz. Ausgangspunkt von "Katzenball" sind Gespräche mit fünf in der Schweiz lebenden, Frauen liebenden Frauen. Die jüngste unter ihnen ist die 25-jährige Sabina Zingaro, die ihr Coming Out hatte als man - zumindest in der urbanen - Schweiz so selbstverständlich lesbisch sein konnte wie heterosexuell. Die älteste ist die 1912 geborene Johanna Berends, die zum zweiten Mal verheiratet und Mutter war, als sie 1953 der Frau ihres Lebens begegnete; Träume, in denen Berends früher schon Frauen begehrte, oder aber auch ein Foto, auf dem die Krankenschwester in Hose und Hemd posierte, erzählt Berends, wurden von der Umgebung als amüsanter Jux abgetan.

Altersmässig zwischen Berends und Zingaro liegen die Biographien der Mode-Designerin Ursula Rodel, der Feministin Heidi Oberli und der Fotografin Liva Tresch; einige der Fotos in "Katzenball" wurden von Liva Tresch geschossen, die seit den 50er Jahren so etwas wie die Chronistin der lesbisch-schwulen Familie der Schweiz ist. Virtuos hat Minder die Erzählungen der verschiedenen Frauen miteinander verknüpft. Sie erläutert und vertieft deren Aussagen, wo nötig mit historischen Daten, ergänzt das Gesagte mit Dokumentarmaterial: Fotos, Ausschnitten aus alten Spielfilmen mit Asta Nielsen und Marlene Dietrich, Häppchen aus Wochenschauen und TV-Sendungen. Entstanden ist so ein ebenso amüsanter wie aufschlussreicher Dokumentarfilm, der einen vergnüglichen Blick auf ein Stück Schweizer Frauengeschichte wirft, das - wie gesagt - bisher "gar nicht existierte".



10.03.2021

4.5

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Kommentare

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paddington65

vor 18 Jahren

Ein toller Film. So vielseitig wie die Protagonistinnen selbst... regt zum Lachen, Staunen, aber auch zum Nachdenken an. Sehr sehenswert - hoffe, es gibt ihn mal auf DVD!


ruediroth

vor 18 Jahren

Die Verschiedenheit der durchwegs starken Protagonistinnen, die Widersprüche, das poetische Eingebettetsein in "fast 100 Jahre Kinogeschichte" macht diesen Lesben-Geschichten-Film zu dem Meisterwerk, das sich die ganze "heterogene" Gesellschaft zu Herz und Gemüt führen sollte. Danke.


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