Caché Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien 2005 – 117min.

Filmkritik

No Sex, Lies & Videotape

Filmkritik: Eduard Ulrich

Kann eine Video-Kassette mit banalen Alltagsaufnahmen eine Kleinfamilie aus der Bahn werfen? Natürlich nicht, wenn diese in Ordnung ist. Aber welche Familie ist das schon? Michael Haneke fühlt den emotionalen Puls und diagnostiziert Herzlosigkeit.

Einen Film von Michael Haneke besucht man am besten ohne spezielle Erwartungen an die Handlung, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Seinen Filmen kann man auf verschiedenen Ebenen folgen, wobei man permanent im Dunkeln tappt, weil man nicht weiss, was als nächstes passieren wird und worauf das Ganze hinausläuft. Dazu gehört, dass die - wie immer mit einer raffinierten Ästhetik gefilmten (Christian Berger) - Alltagsszenen nicht verraten, welches Gewicht sie für das Fortkommen des Geschehens besitzen. Wer also bereit ist, sich überraschen zu lassen, wird sich nicht langweilen.

Georges, mit Daniel Auteuil ausgezeichnet besetzt, moderiert eine Art Literarischen Quartetts; seine Frau Anne, optimal von Juliette Binoche verkörpert, arbeitet im Verlag eines Freundes und der Sohn Pierrot kommt gerade in seine pubertäre Trotzphase. Die Ehe hat die erotischen Gewässer längst verlassen, aber den sicheren Hafen einer tiefen Vertrautheit noch nicht erreicht, denn in Georges' Vergangenheit gibt es dunkle Flecken, von denen seine Frau nicht einmal etwas ahnt. Als der Familie eines Tages anonym eine Video-Kassette zugestellt wird, auf der nur der Eingang ihres Hauses zu sehen ist, scheint die einzige Botschaft zu lauten: Ihr werdet beobachtet. Allein dies genügt, das erodierte Beziehungsdreieck ins Wanken zu bringen. Die auf den ersten Blick unangemessen heftigen Reaktionen aller Beteiligten lassen sich aus ihrer latenten Unsicherheit begründen: Steckt ein ehemaliger Liebhaber oder ein enttäuschter Fan dahinter, wird eine Erpressung vorbereitet? Stürzt sich Anne in eine Liebesaffäre, geht die Ehe zu Bruch? Vieles scheint möglich, und der Druck wird noch erhöht, als ob der Video-Kassetten-Lieferdienst sähe, welche Wirkung er erzielt.

Dass der Film in Paris spielt, wo der Regisseur seit Jahren lebt und arbeitet, sieht man ihm erwartungsgemäss nicht an. Stattdessen gelingen Haneke und Berger Bilder von überzeugender Deutlichkeit wie beispielsweise die Silhouetten der Partner im dunklen Schlafzimmer vor den schimmernden Fenstern, die alle Zweifel am Zustand der Ehe beseitigen. Auch wenn Vieles bis zum Schluss in der Schwebe gehalten wird, ist Eines sonnenklar: Nichts wird danach mehr so sein wie früher, obwohl - oder gerade weil - sich insbesondere Georges gegen jeden Entwicklungsschritt sträubt.

25.05.2021

5

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Kommentare

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dulik

vor 5 Jahren

Mit „Caché“ hat Michael Haneke einen sehr authentischen Film geschaffen, der nur schwer einem einzelnen Genre unterzuordnen ist. Der Streifen handelt von Schuldgefühlen und zeigt auf, dass diese, auch wenn wir sie angeblich längst vergessen haben, immer noch in unserem Unterbewusstsein weiterexistieren können. Schauspielerisch und dialogtechnisch bewegt sich der Film auf sehr hohem Niveau, dürfte für viele Zuschauer aber einen etwas zu grossen Interpretationsspielraum aufweisen.
8/10Mehr anzeigen


reinhard49

vor 10 Jahren

toll gespielt und eine gute Story.


Gelöschter Nutzer

vor 14 Jahren

Wie so oft zeigt uns Haneke ein intellektuelles Konstrukt, das Schockeffekte enthält. Es geht ihm dabei gar nicht so sehr um die Aufklärung der Hintergründe und Motive des oder der Täter, denn die letzte Szene sieht man nur aus der Ferne und kann die handelnden Figuren nur schlecht erkennen. Haneke führt uns lediglich eine etablierte Familie vor, bei der alles im grünen Bereich liegt und die plötzlich durch beobachtende Videoaufzeichnungen auf eine harte Probe gestellt wird. Misstrauen und Verdächtigungen kommen auf. Selbst die Kommunikation der Eltern (Juliette Binoche und Daniel Auteuil) gerät ins Stocken. Viele dunkle, kaum ausgeleuchtete Szenen verdeutlichen den Gemütszustand der beiden und schaffen eine bedrückende Atmosphäre, die eigentlich nur im dunklen Kinosaal richtig entstehen kann. Daher wird dem Publikum vom Regisseur nahegelegt, während der Vorführung den Saal nicht zu verlassen. Ist also eigentlich nichts fürs Fernsehen.Mehr anzeigen


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