CH.FILM

Villa Henriette Österreich, Schweiz 2004 – 87min.

Filmkritik

Kampf um ein sprechendes Haus

Andrea Lüthi
Filmkritik: Andrea Lüthi

"Villa Henriette" basiert auf Christine Nöstlingers gleichnamigem Roman. In dem vergnüglichen und phantastisch angehauchten Film ist die Jugendbuchautorin gleich selber in einer Nebenrolle zu sehen.

Nachts entlädt sich das Gewitter mit aller Wucht, der Regen prasselt nieder, es donnert und blitzt. Bretter lösen sich, Scheiben splittern, die alte Villa ächzt und stöhnt. Doch der neue Tag beginnt idyllisch; die ersten Sonnenstrahlen fallen auf das Grundstück, und zarte Nebelschleier ziehen ums Haus. Man wähnt sich in einer Märchenwelt, und es würde einen nicht verwundern, wenn allerlei phantastische Gestalten aus der geheimnisvollen Villa treten würden.

Etwas skurill ist sie schon, die Familie der 13-jährigen Protagonistin Marie - etwa der schwerhörige Grossonkel mit seinem Hexenschuss oder die zerstreute Tante, die den Kopf voller Gedichte hat und deshalb öfters über einen Gegenstand stolpert und hinfällt. Hausbesitzerin ist Maries Grossmutter, und ihre Erfindungen - sprechende Kühlschränke und Abfalleimer zum Beispiel - gehen den übrigen Familienmitgliedern manchmal gehörig auf den Geist. Auch das Haus selber ist ungewöhnlich: Abgesehen davon, dass es seinen Bewohnern dauernd Streiche spielt, spricht es mit Marie und treibt sie vorwärts: "Wer seine Träume verwirklichen will, muss erst einmal aufwachen!" Nina Hagens Stimme mit ihrem rauen, herben Timbre erweist sich dabei als überaus passend.

So seltsam die Figuren wirken - sie haben mit alltäglichen Problemen zu kämpfen. Marie steht zwischen zwei Jungen, ihr Vater mag seine Arbeit nicht mehr, vor allem aber treten plötzlich finanzielle Schwierigkeiten auf: Die Grossmutter kann den Kredit der Bank nicht mehr bezahlen, und ihr letztes Geld hat sie an einen Betrüger verloren. Als die Villa zur Versteigerung ausgeschrieben werden soll, beschliesst Marie, für das geliebte Haus zu kämpfen. Ihre beiden Verehrer helfen tatkräftig mit - ein jeder in der Hoffnung, Marie möchte sich für ihn entscheiden.

Mit ihrem Einsatz für die Villa übernimmt Marie erstmals Verantwortung und lernt sich in der Erwachsenenwelt zu behaupten. Und auch Selbstbewusstsein und Entschlossenheit nehmen zu: Am Ende ist Marie so weit, dass sie ihre Unschlüssigkeit im Hinblick auf die beiden Verehrer ablegt und den beiden zu verstehen gibt, was sie wirklich will. Pubertäre Probleme und der langsame Übergang ins Erwachsenleben werden hier auf eine frische und natürliche Weise thematisiert - inmitten einer wunderlichen Umgebung. Doch gerade dieser Mix aus Phantastik und alltäglichen Problemen macht den Reiz des Films aus. In der formalen Gestaltung kommt zusätzlich zum Ausdruck, wie die märchenhafte Villa einen Ort der Geborgenheit und der Gemeinschaft verkörpert: Im Retro-Look gehaltene, leicht verwischte Bilder mit Gelbstich verleihen der häuslichen Umgebung Sanftheit und Wärme und bilden einen Kontrast zur grünstichigen, kälteren Aussenwelt.

"Villa Henriette" ist ein warmherziger, packender und humorvoller Familienfilm, der allein schon wegen seiner aussergewöhnlichen Kameraperspektiven und seines Farbdesigns sehenswert ist.

25.08.2005

4.5

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