Palindromes USA 2004 – 110min.

Filmkritik

Will Mutter werden!

Filmkritik: Jürg Tschirren

Dass Todd Solondz die Welt für keinen schönen Ort hält, sollten Freunde seiner Filme mittlerweile wissen. Auch in "Palindromes" macht er keine Anstalten, die Menschheit von einer schönen Seite zu zeigen. Und Pädophilie kommt auch darin vor.

"Palindromes" sei in etwa so amüsant wie Lungenkrebs, schrieb ein amerikanischer Kritiker. Das scheint nun doch ein wenig übertrieben. Und ein seltsamer Vorwurf ist es auch: Von Todd Solondz hat wohl niemand einen amüsanten Film erwartet. Nicht nach seinem Erstling "Welcome to the Dollhouse" und auch nicht nach den Folgewerken "Happiness" und "Storytelling".

Zu Beginn von "Palindromes" sehen wir einen aufgebahrten Sarg, in dem Dawn "Wienerdog" Wiener liegt. Die "Dollhouse"-Hauptfigur hat sich nach Jahren der Erniedrigung schliesslich umgebracht. Unter den Trauergästen befindet sich Aviva, die kleine Cousine der Verstorbenen. Avivas Name ist ein Palindrom, von vorne und hinten liest er sich gleich. Auch der Film folgt einer palindromischen Struktur. Am Anfang hält Dawns Bruder Mark eine Rede und am Ende wird er sagen, dass wir immer die gleichen bleiben, immer zurückkommen, egal wohin wir gehen.

Geschockt vom Selbstmord ihrer Cousine beschliesst Aviva, so schnell wie möglich ein Kind zu bekommen, damit immer jemand da ist, der sie liebt. Mit 12 Jahren geht ihr Wunsch in Erfüllung: Sie lässt sich von einem dicken Jungen schwängern, der auf seinem T-Shirt eine Comicfigur mit erigiertem Penis und dem Schriftzug "Look: He likes you" trägt. Von ihrer Mutter (stark: Ellen Barkin) wird sie zu einer Abtreibung gezwungen. Danach reisst Aviva aus und begibt sich auf eine märchenhafte Reise durch eine von Pädophilen, religiösen Spinnern und verkrüppelten Kindern bevölkerte Welt.

Solondz hat erklärt, nach "Welcome to the Dollhouse" von den unterschiedlichsten Menschen - von Models wie von bärtigen Männern - gehört zu haben, sie hätten sich mit Dawn Wiener identifiziert. Davon ausgehend, dass bei der Identifikation die Sympathie mit einer Figur eine grössere Rolle spielt als Faktoren wie Geschlecht, Hautfarbe und Alter, lässt er Aviva von acht sehr unterschiedlichen Darstellerinnen spielen: Unter anderem von einem pummeligen weissen Teenager, einer sehr dicken schwarzen Frau, von Jennifer Jason Leigh und einmal auch von einem Jungen.

Das Experiment gelingt erstaunlich gut. Doch wechselnde Identifikationsfiguren sind nicht das abenteuerlichste, das der Regisseur den Zuschauern zumutet. Dass er seine zwölfjährige Protagonistin nach vollzogenem Analverkehr mit verträumter Stimme fragen lässt, ob ihr pädophiler Liebhaber sie später auch noch "auf normalem Weg" beglücken werde, mag für viele starker Tobak sein. Doch bei all den stimmungsvollen Bildern, die er auffährt, und den kontroversen Themen, die er anschneidet, bleibt Solondz seltsam distanziert. Macht er sich nun über fundamentalistische Christen oder über Avivas liberale Eltern lustig? Verhöhnt er Pädophile oder Abtreibungsärzte? Oder hält er einfach die ganze Welt für bemitleidenswert? Wahrscheinlich letzteres - nur war die Figur des neunmalklugen Spötters noch nie eine besonders mutige.

01.06.2021

3

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Kommentare

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landjaeger

vor 18 Jahren

Solondz überrascht immer wieder mit hochtragischen Situationen, die eigentlich nur zum Lachen sind, weil sich die Protagonisten konstant selber widersprechen oder Sätze sagen, die nicht zu ihnen passen.

Palindromes verzettelt sich aber in einem Patchwork von Einzelgeschichten, das Solondz mit intelligentem Storytelling verwechselt. Einzig die Freak-Horde im Landhaus, die peinliche Jesus-Songs intoniert, vermag Glanzpunkte zu liefern. Der Rest ist ein lauwarmer Aufguss des bekannten Solondz-Nihilismus, der einem plötzlich viel zu weltverneinend vorkommt und Glück im Grunde zum Vornherein immer gleich negiert.Mehr anzeigen


clodsense

vor 18 Jahren

Wunderbar dieser Film. Jenseits von Gut und Böse, da wo Menschen einfach Menschen sind. Ich war sehr berührt.


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