Maria, Ilena eres de gracia USA 2004 – 101min.

Filmkritik

Mutter Gottes des tropischen Schnees

Serge Zehnder
Filmkritik: Serge Zehnder

Im April widmete sich eine Ausgabe des Schweizer Magazins "Facts" der jüngsten Kokain-Flut, die Europa und besonders auch die Schweiz in letzter Zeit erreicht hat. Vom Hintergrundbericht auf jenen Seiten zu Joshua Marstons in ergreifender, dokumentarischer Detailliertheit geschildertem Drama "Maria Full of Grace" ist es nur ein sehr kleiner Schritt.

Geschwängert, gefeuert und familiär geächtet wird die siebzehjährige Maria (Catalina Sandino Moreno) vom charmanten Franklin angeworben, als Maulesel zu arbeiten. Maulesel zu sein bedeutet, mit über 60 Kokain-Päckchen im Bauch nach New York zu reisen, um diese bei Strassendealern abzuliefern. Ohne Alternative in Aussicht lässt sich Maria auf das Geschäft ein, um dem Leben in Kolumbiens Hinterland und dem unendlich deprimierenden Alltag zu entfliehen.

In ehrlichen und unverfälscht berührenden Momenten beschreibt Joshua Marston in seinem sehr gelungenen Debüt einen Transportmechanismus des Drogenhandels. Aufgrund des unverbrauchten Ensembles, das mit hervorragenden Darbietungen aufwartet, verliert der Film nie seinen emotionalen Rückhalt - Catalina Sandino Moreno konnte sich als Belohnung an der Berlinale 2004 den Preis als beste Schauspielerin mit Charlize Theron teilen.

Marston, dessen intensive Recherchen ihn bis nach Kolumbien führten, wo auch ein Grossteil der Geschichte stattfindet, zeigt ohne reisserische Aufmachung den teuflischen Drogen-Kreislauf, der durch Angebot und Nachfrage zwischen Dritter und Erster Welt entsteht. Im Gegensatz zu Steven Soderberghs "Traffic" ist "Maria Full of Grace" kein alles umspannendes Drogen-Panorama, sondern bezieht seine Stärke aus der intimen Portraitierung eines Einzelschicksals.

Manchen Endkonsumenten des weissen Pulvers wird beim Betrachten des Films womöglich ein ungeahnt menschlicher Aspekt bewusst, der inmitten des Rausches nie berücksichtigt wird. Gerade die Nebensächlichkeit, zu welcher der Kokain-Konsum (laut Facts) geworden ist, lässt sehr schnell vergessen, mit welchem Zoll an Menschenleben der Handel betrieben wird. Was nicht moralisch zu werten ist, stellt sich doch die Frage, ob man diesen Menschen nicht einen Dienst erweist, wenn man das unter himmelfahrtsähnlichen Umständen transportierte Produkt kauft.

Marston klammert diese hoch ambivalente Frage, welche auch den Faktor der Legalisierung in sich trägt, aus. Seine Geschichte, die mit aller Symbolik des biblischen Namens Maria gespickt ist, überzeugt alleine schon als Portrait einer Frau, welche auf der Strasse nach Nirgendwo ein kleines bisschen Heimat findet. Und zieht man das Thema Drogen mit hinzu, leistet der Film Aufklärung ohne Zeigefinger und verliert inmitten aller Ohnmacht nie den Glauben an die Hoffnung.

13.09.2004

4.5

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Kommentare

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lovro

vor 19 Jahren

Ich empfinde den Film als sehr packend und spannend. Ich war die ganzen zwei Stunden in meinen Sessel förmlich gefesselt.
Es ist eine willkommene Abwechslung, zu den restlichen Streifen ala Hollywood.
Ein Film der wirklich zum denken anregt!
(*) (*) (*) (*) (*)


adar

vor 19 Jahren

Sehr gut und glaubhaft erzählte Geschichte, die einen für


güx

vor 19 Jahren

Ich verliess das Kino gestern mit einem zweispältigen Gefühl: Zum einen wird die Geschichte von Maria Alvarez sehr gut, authentisch und mit starken Bildern erzählt. Der Film hat nichts Reisserisches, sondern besticht mit seinen z. T. sehr nüchternen Aufnahmen (z. B. bei der Verpackung des Heroins oder wie Maria das Schlucken der Fingerlinge übt). Das ganze Schauspielerensemble ist hervorragend, insbesondere C. Morena als Maria. Sie ist eine wirklich aussergewöhnliche Entdeckung!
Zum anderen hat der Film zwei Szenen, die mich davon abhalten, "Maria... " mit mehr als GUT zu bewerten: *Achtung, Spoiler*
Die Szene am Zoll bei der Einreise in die USA - Mal im Ernst: Wie glaubwürdig ist diese "Freilassung" Marias? In Zeiten zunehmenden Terrors und mit einer USA, welche bis auf die Knochen verängstigt ist, kann ich diese Handlung, die unter dem Motto "Gnade vor Recht" abläuft, absolut nicht nachvollziehen. Zurück bleibt das schale Gefühl, dass diese Szenen am amerikanischen Zoll nur aus dramaturgischen Gründen in den Film eingebaut wurden. Zudem fand ich den Schluss nicht besonders gelungen - er war längst vorhersehbar, was ich etwas schade fand.
Insgesamt ist "Maria" aber sicherlich ein gelungener, empfehlenswerter Film.Mehr anzeigen


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