Mondovino Argentinien, Frankreich, Italien, USA 2004 – 120min.

Filmkritik

Wein im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Filmkritik: Andrea Bleuler

Jonathan Nossiter, Kosmopolit, Geniesser, Revoluzzer, Regisseur und Sommelier, hat das Treiben im globalisierten Weingeschäft beobachtet. Die schlechte Nachricht: Mit «Kultur» hat das edle Getränk - entgegen seinem Ruf - immer weniger zu tun. Dafür menschelt es überall ganz wunderbar.

Über vier Jahre lang hat Jonathan Nossiter in acht Ländern und auf drei Kontinenten die Meinungen unterschiedlichster Vertreter der Weinbranche gesammelt - ursprünglich für eine Dokumentar-Serie für's Fernsehen. Die etwas überlange Kinoversion seiner Ergebnisse ist zu einem wahren Genuss philosophischer Art geworden.

Noch sind die Protagonisten des Weingeschäfts nicht alle in einen Topf zu werfen: Da trifft man einerseits die klingenden Namen europäischer Weinfamilien wie Frescobaldi, Antinori und Rothschild. Sie alle gehen heute alle am Gängelband der Mondavis aus Kalifornien, die ihr Manko an eigener Geschichte mit gekauftem Stil und Traditionswahn aufwiegen. Und es gibt andererseits noch immer die resistenten Gallier - Aime Guibert im Languedoc und Hubert De Montille im Burgund. Sie setzen sich der zu erwartenden Entwicklung im Weingeschäft mit aller Macht entgegen.

Immer wieder fällt im Verlauf des Films das Wort «terroir», jener schillernde Begriff, der umschreibt, dass jeder Anbauort einzigartig ist und dem darauf entstehenden Wein ein unverwechselbare Aura verleiht. Heute gleicht das einer Farce: Wein unterscheidet sich nur noch in seiner Verpackung. Inhaltlich dominiert überall die gleiche Geschmacksästhetik.

Nossiters Fazit: Die modernen Götter des Weins präsentieren sich in einer Dreifaltigkeit. Ein charismatischer Berater aus Frankreich - Michel Rolland, der seine gut zahlenden Kunden mit dem ominösen Wort «oxygéner» einseift -, sein Freund Robert Parker von der Weinfachzeitschrift «Wine Spectator» und die kalifornische Grossweinbauer-Familie Mondavi bestimmen, was zu gefallen hat - nämlich eine weltweite «Napaisierung» der Rebberge, ganz im Sinne US-amerikanischer Visionen.

Doch der Autor dieses Essayfilms bleibt nicht bei der banalen Schlussfolgerung, dass Marketing die meist gelebte Religion der Welt sei. Dafür hat Nossiter zu sehr den Blick eines Vielgereisten. Seine DV-Kameraarbeit ist nervenaufreibend und auf eine raffinierte Art ironisierend und enthüllend. So interessiert er sich für die Geschehnisse hinter, neben und unter seinen oft hoch angesehenen und mächtigen Interviewpartnern, vergönnt ihnen den Fokus der Linse und beschneidet ihre werte physische Erscheinung bizarr. Den Weinmenschen aus Tradition und Geschichte nässt er ebenso das Hosenbein wie dem Geldadel - mit einer dreisten Offenheit, doch niemals Partei ergreifend oder herablassend.

20.10.2023

4.5

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