Casa de los babys Mexiko, USA 2003 – 95min.

Filmkritik

Babywunsch und Börsenkurs

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

In seinem neuen Film "Casa de los Babys" verzahnt der Independent-Filmer John Sayles einmal mehr virtuos die Geschichten von Habenden und Habenichtsen.

John Sayles ist ein Mann mit Standpunkten. Wenn es darum geht, das Unrecht zu benennen, dann steht der Autorenfilmer immer auf der Seite der Nobodies. Er bezieht Partei für Underdogs, für all jene, welchen der Kampf ums Überleben wenig Hoffnung auf bessere Zeiten einräumt. Das allerdings hindert ihn nicht daran, in seinen Filmen die Position des Beobachters nicht aufzugeben und das Treiben der Menschen von allen Seiten zu beleuchten. Er richtet nicht über einzelne, sondern zeigt, wie eine Melange aus gesellschaftlichen Zwängen, Zufällen und Persönlichkeit die Leute zu bösen Fratzen (de)formiert.

Angesiedelt sind Sayles' Geschichten oft in wenig spektakulärer Kulisse. Grenzorte, postindustrielle Brache, gesichtslose Quartiere, der Sumpf von Louisiana und jetzt, in "Casa de los Babys", ein Kaff in Lateinamerika, sind seine Zonen, sein Limbus. In der frühchristlichen Mythologie war dies jener düstere Raum zwischen Himmel und Hölle, den die verlorenen Seelen ungetaufter Gerechter durchstreifen; für Sayles allerdings ist der Ort immer auch Zustandsbeschreibung. Die Menschen, die er getrieben von Wünschen und Hass zeigt, kann er hier realistisch zeichnen, ist die Welt im Limbus doch, wie sie ist: ungeschieden; nie nur Himmel, nie nur Hölle.

"Casa de los Babys" ist John Sayles' Limbus-Film zum Thema Babywunsch und Mutterglück. Ein sensibles Gebiet, aufgeladen mit allen Gefühlen zwischen Komik und Tragödie, das kaum einen unberührt lässt. Das ist auch der Grund, weshalb Hollywood kaum ein Jahr vergehen lässt, ohne mit einer Batterie überzuckerter Familien-Baby-Mutti-Papi-Geschichten ins Feld zu ziehen. Sayles nimmt diese Bilder denn auch auf und streuselt immer wieder Aufnahmen von putzigen Kleinkindern in seinen Film. Allerdings verwandeln sich die Babys in Folge zu Objekten der Begierde und sind in "Casa de los Babys" nur glänzende Warenauslage in einem Adoptionszentrum, das eigentlich eine Börse ist.

Vor Ort warten in diesem Fall fünf US-Amerikanerinnen und eine Irin auf ihr Baby. Bereits sind zwei Monate vergangen und noch immer liegen die staatlichen Adoptionspapiere nicht vor. Offiziell Schuld an dieser Verzögerung sind die strengen Behördenauflagen des im Film namentlich nicht genannten Landes; in Wirklichkeit aber wollen die Betreiber des Casas lediglich genügend Zeit, um die reichen Yankee-Frauen besser schröpfen zu können. In ihrem (relativen) Elend bilden die sechs Frauen eine Zweckgemeinschaft, deren Alltag allerdings mehr von gegenseitiger Missgunst als von Unterstützung geprägt ist. So vertreiben sich die Alkoholikerin Gayle (Mary Steenburgen), die Fitnessgöttin Skipper (Daryl Hannah), die zynische New Yorkerin Leslie (Lili Taylor), die reiche Jennifer (Maggie Gyllenhaal) aus Washington, die warmherzige New-Yorker-Irin Eileen (Susan Lynch) sowie die intrigante Hinterwäldlerin Nan (Marcia Gay Harden) die Zeit mit zielloser Beschäftigungstherapie.

In diesen Szenen erweist sich John Sayles einmal mehr als begnadeter Regisseur, der sein Ensemble mit traumwandlerischer Sicherheit durch die von ihm geschriebene Geschichte leitet. Doch es wäre Sayles nicht Sayles, würde er dieses Kammerstück - gedreht wurde in vier Wochen in Mexiko mit einem Budget unter einer Million Dollar - nicht ausweiten und zusammen mit Geschichten aus dem ganzen gesellschaftlichen Spektrum des Städtchens zu einem epischen Bilderbogen verzahnen. So erhalten wir Einblicke in die Leben von Strassenkindern (die niemand will), von zur Adoption gezwungenen Müttern, von betrunkenen Linksaktivisten, reichen Einheimischen und einem verzweifelten Vater. Allen gemeinsam ist, dass sie ihre Hoffnungen, aber auch ihren Hass an die reichen Frauen aus dem Norden ketten.

Andere linke Filmer hätten aus dieser Interaktion eine Anklageschrift gegen Globalisierung und Ausbeutung formuliert. Bei Sayles gibt es diesen selbstgerechten Ausweg nicht. Ihn interessieren nicht Ideologien, sondern das höchst verwirrende reale Leben. Mit "Casa de los Babys" erweist er sich als einer der wenig übrig gebliebenen Erzähler, die daraus Funken zu schlagen wissen.

18.05.2021

4.5

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mamama

vor 17 Jahren


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